Dienstag, 26. Juni 2007

Altstadt von Sana'a

Salaam ya Shabab,

wie geht es euch allen in Wien und anderswo? Jetzt hab ich also doch einen Blog... bin zwar immer noch skeptisch, aber so ein Ding hat schon einige Vorteile, z.B. muss ich euch nicht mit Massenmails auf die Nerven gehen. Bitte erwartet euch keine regelmäßigen Einträge oder unzählige umwerfende Photos – ich werd einfach ab und zu ein Lebenszeichen von mir geben, und freu mich, wenn ich welche zurückkrieg!

Voilà ein erster Lagebericht, ist schon ein paar Tage alt, aber...

Sitze gerade in meinem funkelnagelneuen Mafraj – das ist die hiesige Version des Salons, und besteht aus Matratzen mit Rücken- und Armlehnen, die um die Wand herum auf den Boden gelegt werden. Zentrales Happening in einem Mafraj ist die Qat-Runde: jeden Nachmittag treffen sich die Jemeniten und Jemenitinnen – selbstverständlich in verschiedenen Häusern - um stundenlang beieinander zu sitzen und die leicht berauschenden Blätter des Qat-Baumes zu kauen, mit dem hierzulande inzwischen der Grossteil des urbaren Bodens bepflanzt ist. „Nebenbei“ werden Geschäfte und Politik gemacht, Neuigkeiten ausgetauscht, Ehen vermittelt (Mütter begutachten die heiratsfähigen Mädchen im Verwandten- und Bekanntenkreis, um Frauen für ihre Söhne zu finden) und Dispute geschlichtet.

Qatrunde beim Provinzgouverneur. Zu fortgeschrittener Stunde wird zu Oud, Gesang und Trommel getanzt. Man beachte die prall mit Qat gefüllten rechten Wangen...

Aber zurück in meinen von Ritualen dieser Art bisher unberührten Marfaj...von einem riesigen Plakat auf der gegenüberliegenden Hauswand blickt Präsident Ali Abdallah Saleh gestrenge durch mein Fenster. Um eventuelle Restzweifel darüber, wer in diesem Land das Sagen hat, von vorneherein auszuschliessen, hängen genau darunter noch 14 kleinere Poster mit seinem Konterfei.

Wenn ich meine Strasse, Sharia Djibouti, entlang bis an ihr Ende schaue, thront dort ein immenses Gebäude, das in der Nacht ob seiner Beleuchtung an ein Kernkraftwerk oder die Raffinerien am Weg nach Schwechat erinnert. Tatsächlich handelt es sich aber um die „Moschee des guten Präsidenten“, die selbiger zur Ehre Allahs und wohl auch ein bisschen zu seiner eigenen erbauen lässt. Man munkelt, es gäbe einen unterirdischen Gang, der von der massiv überwachten, weitläufig abgeschirmten Residenz Salehs in die Moschee führt...

Aber ich schweife schon wieder ab. Die klügeren unter euch haben meinen wirren Erzählungen entnommen, dass ich inzwischen eine eigene Wohnung hab! Ich teile sie mir mit 2 deutschen Mädels, einer Wassertechnikerin und einer Praktikantin beim deutschen Kulturforum. Dank der Vermittlung eines jemenitischen Kollegen zahlen wir einen Spottpreis, die Wohnung ist groß und hell und war völlig leer, als wir kamen. Inzwischen haben wir schon einiges Zeug akkumuliert.
Zu den Highlights gehört mein koreanischer Kleiderkasten, dessen einsprachige Bauanleitung inklusive obskurer Miniaturzeichnungen, die zwar durchaus einen gewissen künstlerischen Wert besitzen, für Angehörige des westlichen Kulturkreises aber kaum entschlüsselbar sind, mich in den Wahnsinn treibt. Seit Tagen kämpfe ich mit den aus zigtausend Einzelteilen bestehenden Eisenstangen, einer Fülle an Schrauben und Muttern in allen Größen und einer wild gepunkteten Hülle aus Nachtzugbettwäschematerial.
Ausserdem bescherte mir die neue Wohnung zunächst schlaflose Nächte, die von ungewohnten Geräuschen durchsetzt waren: permanentes Hupen, hierzulande das A und O im Strassenverkehr, lebhaftes Geschwätz und Tellerklappern aus den benachbarten Suppenküchen, ab 5 Uhr früh das Klopfen des Brotteiges beim Bäcker gegenüber – wirklich, das hör ich bis in mein Bett - , anschliessend das Fauchen des riesigen Gasofens, in dem dieses gebacken wird, und natürlich die Rufe der Muezzine.
Inzwischen bin ich aber geräuschresistenter geworden und schlafe nachts schon beinahe durch, bis um 6.15h mein Wecker klingelt. Dann torkle ich unter meine kalte Dusche, springe so schnell es geht wieder heraus, mach mich fertig und hol mir von unten den ersten Zuckerschock des Tages in Form eines picksüssen Tees mit Milch. Wenn ich übermütig bin, und mein Magen es erlaubt, kauf ich mir auch ein Fruchtshake, was mit gewissen Risiken verbunden ist, aber furchtbar gut schmeckt.
In der Nachbarschaft ist unser Dreimäderlhaus übrigens längst bekannt, wir fallen auf wie bunte Hunde und werden von allen Seiten beobachtet, was durchaus auch Vorteile hat. Einige Nachbarn hab ich schon kennengelernt, alle sehr nett, gewonnen hat aber auf jeden Fall unser Haus-Manager, der mit seinen riesigen Augen und dem verschmitzten Lächeln aussieht, als wäre er gerade aus einem Comic entlaufen. Er lebt mit seiner Frau, 2 Töchtern in meinem Alter und einem kleinen Sohn (dessen Name, Saddam, durchaus aus politischer Überzeugung gewählt wurde) im Keller unseres Hauses, ist stets hilfsbereit und schwärmt für Deutschland, das er einmal besucht hat. Wenn wir uns wieder einmal nicht verstehen, weil mein Arabisch zu schlecht ist, sagt er einfach „Doch!“ und strahlt über das ganze Gesicht...
Um 8 Uhr beginnt die Arbeit im Gesundheitsministerium. Glücklicherweise wohnt ein Kollege mit Auto gleich ums Eck, gemeinsam kämpfen wir uns allmorgendlich durch den Verkehr.
Mein Projekt (Analyse jemenitscher Jugendorganisationen) nimmt langsam Form an. Nachdem ich in den ersten Wochen hauptstächlich mit Konzept und Forschungsmethoden beschäftigt war, und gleichzeitig versucht habe, einen ersten Einblick in die verworrenen Beziehungen, Netzwerke und Hierarchien zu bekommen, hab ich inzwischen schon meine Mitarbeiter beisammen und erste Trainings in Interviewführung und Diskussionsleitung mit ihnen gemacht. Mein Forschungsteam besteht aus 8 jemenitischen Studenten, davon 3 Mädchen.
Dass ich auf einmal ein eigenes Projekt habe, find ich natürlich unglaublich spannend, aber gerade am Anfang bin ich manchmal ratlos. Ohne meinem jemenitischen Mentor, der mir mit seinen Erfahrungen und Beziehungen zur Seite steht, und meinem deutschen Chef, der mich von meinen utopischen, studiumsgeschädigten Plänen wieder auf den Boden der Realität zurückholt, wäre ich ziemlich verloren. So bin ich aber zuversichtlich und freue mich auch auf die vielen Reisen, die wir im Laufe des Jahres machen werden.
Auch nette Leute hab ich hier schon gefunden, einige junge Ausländer, meine Kollegen und ein paar gleichaltrige Jemenitinnen, die mich auf der Strasse aufgegabelt haben, als ich wieder einmal hilflos herumgeirrt bin...

Ihr seht also, mir geht's hier bis jetzt echt gut! Das einzige, was mir das Leben schwer macht, ist mein Tinitus, der nun seit über 2 Wochen hartnäckig rauscht und pfeift. Haltet mir die Daumen, dass er so plötzlich wieder geht, wie er gekommen ist!

Das war's fürs erste, ich hätte noch viel zu erzählen, und Photos kommen auch noch... marra thania, inshallah (nächstes Mal, so Gott will)!

Alles Liebe
Leni