Donnerstag, 15. November 2007

Parallelgesellschaft

Es gibt unter den Bewohnern Sana’as eine besonders exotische Gruppe, die ich in den letzten Wochen anlässlich zweier Events genauer studieren durfte: die Ausländercommunity.
Obwohl die meisten Zuwanderer schon seit Jahren hier leben, bevorzugen viele den Kontakt mit ihresgleichen, anstatt sich intensiv um Anschluß an die Mehrheitsgesellschaft zu bemühen. Dem geschulten Ethnologinnenblick springt vor Allem ihr nostalgisches Festhalten an teils skurrilen und für Außenstehende unverständlichen Ritualen und Traditionen ins Auge, die selbst in den jeweiligen Herkunftsländern umstritten sind. Und während nach Außen hin die Regeln und Konventionen des Gastlandes respektiert werden, spielen sich bei den internen Zusammenkünften oft Dinge ab, die im Jemen eindeutig als verwerflich gelten...

Bestes Beispiel hierfür ist der Stellenwert, den Alkohol hierzulande unter den Ausländern einnimmt. Dessen Omnipräsenz in Europa grenzt ja auch schon fast ans Zwanghafte, was mir erst so richtig auffällt, seitdem ich hier bin. Aber in der hiesigen Expat-Community hat hat sich ein regelrechter Alkohol-Kult entwickelt – ob dieser Sakralisierungsprozeß eine neue Diasporareligion hervorbringen wird, ist unter Experten noch umstritten. Fest steht aber, dass hier ordentlich gesoffen wird - ob aus Protest gegen die allzu konservative jemenitische Gesellschaft, aus Heimweh, Langeweile, Einsamkeit... ich weiß es nicht.

Eigentlich hatte ich mich auf ein nüchternes Jahr fernab aller profanen Rauschzustände eingestellt; inmitten gleichgesinnter Idealisten würde ich anstatt mittels hochprozentiger Substanzen allein durch Kontemplation in geistige Verzückung geraten... soweit der Plan. Doch schon auf der ersten Ausländerparty wurde ich Zeugin eines erstaunlichen Schauspiels, das sich seitdem ständig wiederholt: erwachsene Männer und Frauen - beliebt, erfolgreich und von impekkabler Reputation - stürzen sich auf die Drinks wie Halbverdurstete nach einer Wüstendurchquerung und murmeln, falls sie sich ertappt fühlen, Entschuldigungen wie „Hier muss man sich ja auch mal was gönnen...“ oder „Nicht wahr, im Jemen kriegt man das so selten..?“.
Wobei „selten“ scheinbar Definitionssache ist – bald konnte ich nämlich eine einfache Regel aufstellen, die in Sana'a fast immer Gültigkeit hat: wo Ausländer sind, da ist auch Alkohol...

Aber: aus welchen geheimen Quellen speisen sich diese umfangreichen Vorkommen an verbotenen Flüssigkeiten in einem Land, in dem es - von ein paar zwielichtigen Spelunken abgesehen, wo Schmuggelware unter der Hand verscherbelt wird – nirgends Alkohol zu kaufen gibt? Des Rätsels Lösung – jedenfalls, was die hiesigen Deutschen betrifft – ist die sogenannte „Helia-Lieferung“, eine über die Botschaft laufende Bestellung bei einem deutschen Großhändler, der per Katalog so ziemlich alles anbietet, was einem im Jemen abgehen könnte - von A wie Averna bis Z wie Zahnseide... Zweimal im Jahr dürfen Angestellte der Botschaft und der Entwicklungszusammenarbeit dort bestellen, wobei aber die Pro-Kopf-Ausgaben für Alkohol die lächerliche Summe von 500 Euro nicht überschreiten dürfen. Diese Regelung hat weitreichende sozio-ökonomische Folgen: wer sein eigenes Kontingent nicht selbst ausschöpft, gewinnt plötzlich die Macht, nach Belieben Gnaden zu gewähren oder zu verweigern, den einen zu erhören und somit für immer in unterwürfiger Dankbarbeit an sich zu binden, und den anderen eiskalt abblitzen zu lassen, auf daß er sich die Haare raufe und mit den Zähnen knirsche...

Wer in Sana'a auswärts etwas trinken gehen will, hat nur drei Möglichkeiten: Sheraton, Mövenpick oder den legendären „Russian Club“. Hierbei handelt es sich um die einzige Location in ganz Jemen, die man mit etwas Phantasie bzw. nach ein paar Vodka-Shots als „Nachtclub“ bezeichnen könnte. Zwei platinblonde, mürrische Russinnen schmeißen den Laden, dessen Ausstattung und Atmosphäre an eine heruntergekommene Dorfdisko erinnern. Neben den Getränkeflaschen stehen Babushkas im Regal, an der Wand hängen sowjetische Militärorden neben einer orthodoxen Ikone. Auf der mit mit ausgesuchten Geschmacklosigkeiten von Abba bis Modern Talking beschallten Tanzfläche trifft sich die kleine Leidensgemeinschaft der jungen Ausländer, die sich angesichts der hiesigen Strenge nach etwas Party sehnen...
Ganz anders die Stimmung in den beiden Luxushotels. Ein einziges Mal war ich im hauseigenen Club des Mövenpick, welcher der den klingenden Namen „Horse Shoe“ trägt (hiermit schreibe ich einen Wettbewerb um die plausibelste Erklärung für die Wahl ausgerechnet dieses Namens aus – dem glücklichen Gewinner winkt ein Drink in ebendiesem), und das hat mir schon gereicht.
Nachdem uns der Türsteher gnädig durchgewunken hatte, bot sich uns ein Anblick, der die perfekte Antithese zu jenem Land darstellte, das jenseits der Hotelpforten lag: auf der Bühne standen drei langhaarige Asiatinnen in bauchfreien Tops, Lackhotpants und hohen weißen Lederstiefeln und gaben eine Art “Sexy-Tanz-Playbackshow” zum besten... An der Bar und in den Sitzecken der pseudo-edlen, schummrigen Lokalität saßen ausschließlich Männer.
Nach der Show tauchte auf einmal eine Gruppe schwarz verhüllter Gestalten auf und steuerte direkt auf das Damen -WC zu. Ein paar Minuten später kamen weiß gepuderte, stark geschminkte Fräulein in knappen Outfits zum Vorschein...es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell solche Verwandlungen gehen! Im Nu verteilten sie sich strategisch über Bar und Tanzfläche, und mich überkaum das ungute Gefühl, die einzige Frau im Raum zu sein, die nicht aus beruflichen Gründen hier war...

Doch zurück zu den Ausländern und ihren Macken. Das teils drastische Auseinanderklaffen zwischen hiesiger Realität und Exilkultur ließ sich auch unlängst in der deutschen Botschaft beobachten, wo der Tag der deutschen Einheit nachgefeiert wurde. Die deutsche Community Sana’as und internationale Gäste taten sich an Schweinsschnitzeln, Würstchen und Bier gütlich, während eine bayrische Lederhosencombo für Schunkel-Bierzeltstimmung sorgte – gut, daß wohl kaum ein Jemenite deren deftige Texte verstand...
Einen noch krasseren Kontrast zum „normalen“ jemenitischen Alltag bot aber eine Salsa-Party, die vor ein paar Tagen im diplomatischen Club geschmissen wurde. Als die ersten Kubanerinnen in kurzen Kleidchen mit ihren abenteuerlichen Hüft- und Hinternschwüngen die Tanzfläche eroberten, waren auf einmal alle Angestellten – Köche, Kellner, Nachtwächter – zur Stelle; auf ihren Gesichtern spiegelte sich eine Mischung aus Faszination und blankem Entsetzen...

Es gäbe noch unzählige Beispiele, die belegen, dass der Integrationswille der Zuwanderer hier im Jemen generell als mangelhaft gewertet werden muss. Viele bemühen sich nicht einmal, Arabisch zu lernen, sondern erwarten von den Einheimischen, dass diese Englisch sprechen. Kurzum: diese Leute WOLLEN sich gar nicht anpassen! Im Gegenteil: sie unterwandern bewußt die nationale Identität, die hiesigen Traditionen und Gesetze! Komischerweise habe ich hierzulande trotzdem von keinem Politiker gehört, der diese bedenklichen Zustände anprangert. Auch Slogans wie „Sana’a darf nicht Sidney werden!“ oder „Muezzin statt Bummerin!“ sucht man vergeblich...

Montag, 5. November 2007

Hochzeit

Ich habe euch doch schon von Reem erzählt, Hassans 23jährigen Tochter, die verheiratet werden sollte? Neulich war es soweit, und ich durfte endlich miterleben, was sich auf den mysteriösen Frauenparties abspielt...

Schon Wochen vor dem großen Tag war Reem in hellster Aufregung gewesen – was nicht verwunderlich ist, wo sie doch ihren Bräutigam, einen in Saudi-Arabien lebenden entfernten Cousin, noch nie gesehen hatte.
Konnte sie sich auch den Zukünftigen nicht aussuchen, so hatte die Braut in spe doch viele kleinere Entscheidungen zu treffen - Hochzeitskleid, Einladungen, Location etc.-, wobei ihre weiblichen Angehörigen sie nach Kräften verunsicherten, da jede noch so entfernte Tante die allerbeste Lösung parat hatte... insofern gibt es also durchaus Parallelen zur Vor-Hochzeitszeit in Europa.
Wie es dabei in Reems Innerem aussah, konnte ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Sie, die seit Abschluß der Pflichtschule ihre Tage in der väterlichen Kellerwohnung verbracht hatte, die bei jeder Gelegenheit rot wird, die Augen niederschlägt und hinter vorgehaltener Hand zu kichern beginnt, deren Welt nur vier männliche Bewohner hat – Vater und Brüder- , soll auf einmal zu einem unbekannten Mann in ein unbekanntes Land ziehen!
Ohne Zweifel ist Reem eine gute Partie, denn sie besitzt alle Qualitäten, die nach hiesigen Vorstellungen (nur nach hiesigen...?) eine perfekte Ehefrau ausmachen: sie ist wohlerzogen, fromm, schön, herzensgut, in Haushaltsdingen gewandt, bescheiden und (soweit ich das beurteilen kann) fügsam. Doch wie würde ER sein? Hatte der Vater den Richtigen ausgesucht? Und was, wenn nicht?

Eine Woche vor der Hochzeit kam der Bräutigam nach Sana’a, und – o Wunder - Reem durfte ihn sogar kurz treffen! Natürlich unter strenger väterlicher Aufsicht, aber auch das ist schon die Ausnahme – die meisten Paare sehen sich auf der Hochzeit zum ersten Mal. Nachher erzählte Reem mir mit einem Lächeln, das zwischen Aufregung, Angst und Freude schwankte, er sei schüchtern gewesen und habe einen netten Eindruck gemacht...

Zwei Tage vor der Hochzeit wurde unser Haus zum Männer-Sperrgebiet erklärt, im Stiegenhaus drängten sich haufenweise aufgebrezelte Frauen und erwarteten, singend und die typischen arabischen Hochzeitsrufe ausstoßend (für Insider: die Amama konnte das!), die Braut. Nach einer Stunde kam sie dann endlich, und ich hätte sie kaum wiedererkannt. Reem, die ich sonst immer nur in Hauskleidung gesehen hatte (Trainingsanzug, einfache Röcke, T-Shirts), trug ein giftgrünes (grün ist die Farbe des Propheten), über und über mit Strass, Glitzer und Rüschen besticktes Kleid mit Reifrock, das sie wie eine Prinzessinnendarstellerin aus Disneyland aussehen ließ. Gesicht und Decolleté waren weiß gepudert, die Augen pechschwarz umrandet, die Lider schillernd bunt bemalt und die Lippen blutrot. Aus der Ferne sah sie aus wie eine Puppe, aus der Nähe musste man sich fast ein bißchen vor ihr fürchten...
Mit einem nervösen, unsicheren Lächeln, leicht überfordert von der vielen Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde, stand Reem zwischen den vielen singenden und Konfetti werfenden Frauen und ließ sich von ihnen in eine Wohnung führen. Dort setzte man sie im Mafraj auf einen mit Plastikblumen geschmückten Thron, während sich die anderen Frauen dicht zusammengedrängt auf dem Boden niederließen. Aus der Stereoanlage dröhnte arabische Popmusik, und trotz der Enge standen immer wieder Mädchen auf, um paarweise die traditionellen jemenitschen Tänze mit ihren eleganten, gemessenen Bewegungen aufzuführen.
Der Braut blieb indessen nichts anderes übrig, als von ihrem Thron aus dem bunten Treiben zuzuschauen und sich zu langweilen... Nach einer halben Stunde wurde sie zum Gebet weggeführt - keine Ahnung, wie und wo sie das in diesem Aufputz hingekriegt hat. Meine Mitbewohnerin und ich hatten inzwischen genug davon, uns wieder einmal wie exotische Tiere im Zoo bestaunen zu lassen... denn so freundlich das große Interesse der Damen an uns beiden auch war, so ist es doch auf die Dauer anstrengend. Deshalb verließen wir die Hochzeits-Pre-Party, die sich noch bis spät in die Nacht hinzog...

Letzten Samstag war es dann soweit: die Hochzeit! Ich hatte mir noch schnell einen billiges Kleidchen gekauft, das aber in Sachen Glamour, Kitsch und Glitzer nicht einmal annähernd an jene der anderen Gäste, vor allem der jüngeren Mädchen, herankam. Nach einem halben Jahr im Jemen habe ich mir den Anblick von weiblichen Gesichtern, geschweige denn Körpern, schon dermaßen abgewöhnt, dass ich bei Betreten des Festsaales schier überwältigt war von so viel zur Schau gestellter Weiblichkeit - die Luft schwirrte förmlich vor lauter Haut, Haaren, Farbe, Schminke, Parfum, Klunkern... Ältere Frauen bevorzugen zwar noch traditionelle lange Gewänder, alten Silberschmuck und kunstvoll gewundene bunte Kopftücher, doch die Jugend hat sich weitgehend auf knallenge, wild gemusterte Polyester-Stretch-Kleider und High Heels eingeschworen. Eine dritte Stilrichtung, die sich von den Traditionellen und den Modernen abhebt, hätte Edward Said wohl dem Phänomen „Neo-Orientalismus“ zugeordnet – einige Mädchen und jüngere Frauen sahen nämlich aus wie Pseudo-Araberinnen auf einem österreichischen Faschingsfest: Käppchen mit Schleier, glitzernde Bauchtänzerinnentops und Pumphosen...
Als wir ankamen, saßen die Frauen in dem mafrajaehnlichen Saal und tratschten, vor sich kleine Sackerln mit Wasser, Soft Drinks und ein paar Keksen – was mich, die ich mir ein orientalisch-opulentes Gelage ausgemalt hatte, etwas enttäuschte... Ein paar ältere Frauen kauten Qat; Kinder in kitschigen Kleidchen tobten umher. Über Lautsprecher wurde Live-Musik aus dem Nebenraum übertragen, in den die (männliche) Band zwecks Wahrung der sittlichen Ordnung verbannt worden war.
Nach ein, zwei Stunden wurde die Stimmung etwas lebhafter, und einige Mädchen begannen, zu tanzen. Die Musik war eine Mischung aus traditionellen jemenitischen Liedern und arabischen Hits aus Ägypten und dem Libanon, und so wechselten auch die Tänze zwischen lokalen Schrittfolgen und modernem Bauchtanz.
Von der Braut fehlte indes noch immer jede Spur, und es sollte noch zwei weitere Stunden dauern, bis sie endlich erschien... meine Mitbewohnerin und ich unterhielten uns (und unfreiwillig auch alle anderen Gäste) währenddessen mit dem Versuch, uns auf der Tanzfläche ein paar Moves abzuschauen...

Und dann kam Reem. Sie betrat den Saal durch eine Tür, die direkt auf einen mit weißen Rosen geschmückten Catwalk führte. Ihr weißes, schulterfreies Kleid war über und über mit Straß besetzt und endete in einem weiten Reifrock. Die kunstvoll aufgesteckten Haare waren von einem weißen Schleier bedeckt, an Armen, Decolletée und um die Hüften trug sie schweren Goldschmuck. Wieder war sie stark geschminkt, Hände und Arme waren mit Henna bemalt. Es hatte irgendwie etwas sehr rührendes, wie sie da allein stand in ihrem kitschigen Prinzessinnenkleid, das zu weit war für ihren schmalen Körper, mit den Händen am Schleier nestelte, und schüchtern, aber gleichzeitig stolz in die Menge lächelte...
Die Gaeste begrüßten sie mit lauten Freudenrufen und Gratulationsgesängen, die Jugend (wir inklusive) bildete einen Kreis und tanzte. Reem bewegte sich währenddessen unendlich langsam auf das andere Ende des Catwalks zu, und nach jedem Schritt wurde sie von allen Seiten sicher zehntausendmal photographiert. Einige Frauen, die befürchteten, aus Versehen abgelichtet zu werden, zogen schnell ihre Abbayas an. Später wurde Reem in den Kreis der Mädchen geführt, und alles riß sich um einen Tanz mit ihr. Dann wurde sie, wie zwei Tage vorher, auf einen Thron gesetzt, wo sie sicher eine Stunde lang ausharren mußte. Mir scheint, die anderen Mädchen hatten viel mehr Spass als Reem selbst – ihre Aufgabe bestand weitgehend darin, sich geduldig bestaunen zu lassen.

Als wir schon fast gehen wollten, kam plötzlich Bewegung in den Saal – alle Frauen zogen hastig ihre Abbayas an, verhüllten ihre Haare und ließen ihre Gesichtsschleier über das Make-Up fallen... es war an der Zeit, die Braut in das Haus des Bräutigams zu begleiten.
Hassan und sein ältester Sohn kamen, posierten noch mit Reem für ein paar tausend Erinnerungsphotos, warfen ihr dann auch eine Abbaya um und brachten sie in ein mit Blumen geschmücktes Auto. Auch die restliche Festgesellschaft quetschte sich in Autos, die vor der Halle warteten, und laut hupend fuhr der Konvoi einmal um den Block, bevor man das Haus des Bräutigams erreichte – in diesem Falle war es natürlich nicht wirklich sein Haus, sondern wahrscheinlich das eines Verwandten.
Dort geleiteten die Frauen Reem in den Mafraj, wo sie ihre Abbaya wieder auszog (die anderen Frauen blieben ganz verhüllt).
Die Spannung stieg, während man auf den Bräutigam wartete... tausende Tanten zupften an Reems Kleid herum, zogen ihr den Schleier vors Gesicht und raunten ihr gute Ratschläge, Zusprüche, Ermunterungen zu...
Auf einmal betrat ein sympathisch wirkender junger Mann den Raum. Er trug, wie hierzulande an Feiertagen üblich, eine weisse Galabiya, darueber ein Jackett, seine Jambiya (Krummdolch) steckte in einem bunt bestickten Gürtel. Alles verstummte, als er sich auf seine Braut zubewegte und ihren Schleier hob. Kurz lächelte sich das Paar an, und dann mussten wieder unzählige Photos geschossen werden... der Bräutigam legte dabei unbeholfen den Arm um Reem und versuchte, selbstbewusst in die Kamera zu schauen, waehrend sie stocksteif und mit grossen Augen danebenstand...
Dann war es an der Zeit, das Paar alleine zu lassen.

Ich ging an diesem Abend mit gemischten Gefühlen nach Hause. Einerseits war ich erleichtert, dass der Bräutigam so nett gewirkt hatte. Aber was heißt das schon? In ein paar Wochen reist Reem dann endgültig mit ihm nach Saudi-Arabien ab. Sie läßt eine Schwester zurück, die jetzt alleine die Zeit im Keller totschlagen muß, und hat selbst eine Reise ins Ungewisse vor sich. Ich hoffe sehr, dass die beiden sich halbwegs vestehen und dass das dortige Netzwerk an verwandten und benachbarten Frauen Reem auffangen wird. Denn in einer Gesellschaft wie der hiesigen, wo die Geschlechtersegregation so stark ist, kommt es, wie mir scheint, mehr auf die Solidarität unter den Frauen an als auf eine glückliche Ehe im europäischen Sinn.

P.s. Ich muß noch etwas korrigieren: in „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ habe ich geschrieben, dass die meisten Frauen, die ich getroffen habe, mich nicht um meine Freiheiten beneiden und mit dem hiesigen Lebensmodell zufrieden scheinen. Inzwischen bin ich aber vielen Frauen begegnet, die sich sehr kritisch zu den hiesigen Traditionen äußern. Vor Allem jüngere und gebildetere Frauen wünschen sich mehr Selbstbestimmung und gesellschaftliche Mitsprache. Manche bitten mich sogar, ihnen einen österreichischen Ehemann zu vermitteln... Das heißt aber nicht, dass diese Frauen das westliche Lebensmodell unkritisch übernehmen wollen, sondern vielmehr, dass sie einen islamischen, jemenitischen Weg der Emanzipation suchen.