Montag, 5. November 2007

Hochzeit

Ich habe euch doch schon von Reem erzählt, Hassans 23jährigen Tochter, die verheiratet werden sollte? Neulich war es soweit, und ich durfte endlich miterleben, was sich auf den mysteriösen Frauenparties abspielt...

Schon Wochen vor dem großen Tag war Reem in hellster Aufregung gewesen – was nicht verwunderlich ist, wo sie doch ihren Bräutigam, einen in Saudi-Arabien lebenden entfernten Cousin, noch nie gesehen hatte.
Konnte sie sich auch den Zukünftigen nicht aussuchen, so hatte die Braut in spe doch viele kleinere Entscheidungen zu treffen - Hochzeitskleid, Einladungen, Location etc.-, wobei ihre weiblichen Angehörigen sie nach Kräften verunsicherten, da jede noch so entfernte Tante die allerbeste Lösung parat hatte... insofern gibt es also durchaus Parallelen zur Vor-Hochzeitszeit in Europa.
Wie es dabei in Reems Innerem aussah, konnte ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Sie, die seit Abschluß der Pflichtschule ihre Tage in der väterlichen Kellerwohnung verbracht hatte, die bei jeder Gelegenheit rot wird, die Augen niederschlägt und hinter vorgehaltener Hand zu kichern beginnt, deren Welt nur vier männliche Bewohner hat – Vater und Brüder- , soll auf einmal zu einem unbekannten Mann in ein unbekanntes Land ziehen!
Ohne Zweifel ist Reem eine gute Partie, denn sie besitzt alle Qualitäten, die nach hiesigen Vorstellungen (nur nach hiesigen...?) eine perfekte Ehefrau ausmachen: sie ist wohlerzogen, fromm, schön, herzensgut, in Haushaltsdingen gewandt, bescheiden und (soweit ich das beurteilen kann) fügsam. Doch wie würde ER sein? Hatte der Vater den Richtigen ausgesucht? Und was, wenn nicht?

Eine Woche vor der Hochzeit kam der Bräutigam nach Sana’a, und – o Wunder - Reem durfte ihn sogar kurz treffen! Natürlich unter strenger väterlicher Aufsicht, aber auch das ist schon die Ausnahme – die meisten Paare sehen sich auf der Hochzeit zum ersten Mal. Nachher erzählte Reem mir mit einem Lächeln, das zwischen Aufregung, Angst und Freude schwankte, er sei schüchtern gewesen und habe einen netten Eindruck gemacht...

Zwei Tage vor der Hochzeit wurde unser Haus zum Männer-Sperrgebiet erklärt, im Stiegenhaus drängten sich haufenweise aufgebrezelte Frauen und erwarteten, singend und die typischen arabischen Hochzeitsrufe ausstoßend (für Insider: die Amama konnte das!), die Braut. Nach einer Stunde kam sie dann endlich, und ich hätte sie kaum wiedererkannt. Reem, die ich sonst immer nur in Hauskleidung gesehen hatte (Trainingsanzug, einfache Röcke, T-Shirts), trug ein giftgrünes (grün ist die Farbe des Propheten), über und über mit Strass, Glitzer und Rüschen besticktes Kleid mit Reifrock, das sie wie eine Prinzessinnendarstellerin aus Disneyland aussehen ließ. Gesicht und Decolleté waren weiß gepudert, die Augen pechschwarz umrandet, die Lider schillernd bunt bemalt und die Lippen blutrot. Aus der Ferne sah sie aus wie eine Puppe, aus der Nähe musste man sich fast ein bißchen vor ihr fürchten...
Mit einem nervösen, unsicheren Lächeln, leicht überfordert von der vielen Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde, stand Reem zwischen den vielen singenden und Konfetti werfenden Frauen und ließ sich von ihnen in eine Wohnung führen. Dort setzte man sie im Mafraj auf einen mit Plastikblumen geschmückten Thron, während sich die anderen Frauen dicht zusammengedrängt auf dem Boden niederließen. Aus der Stereoanlage dröhnte arabische Popmusik, und trotz der Enge standen immer wieder Mädchen auf, um paarweise die traditionellen jemenitschen Tänze mit ihren eleganten, gemessenen Bewegungen aufzuführen.
Der Braut blieb indessen nichts anderes übrig, als von ihrem Thron aus dem bunten Treiben zuzuschauen und sich zu langweilen... Nach einer halben Stunde wurde sie zum Gebet weggeführt - keine Ahnung, wie und wo sie das in diesem Aufputz hingekriegt hat. Meine Mitbewohnerin und ich hatten inzwischen genug davon, uns wieder einmal wie exotische Tiere im Zoo bestaunen zu lassen... denn so freundlich das große Interesse der Damen an uns beiden auch war, so ist es doch auf die Dauer anstrengend. Deshalb verließen wir die Hochzeits-Pre-Party, die sich noch bis spät in die Nacht hinzog...

Letzten Samstag war es dann soweit: die Hochzeit! Ich hatte mir noch schnell einen billiges Kleidchen gekauft, das aber in Sachen Glamour, Kitsch und Glitzer nicht einmal annähernd an jene der anderen Gäste, vor allem der jüngeren Mädchen, herankam. Nach einem halben Jahr im Jemen habe ich mir den Anblick von weiblichen Gesichtern, geschweige denn Körpern, schon dermaßen abgewöhnt, dass ich bei Betreten des Festsaales schier überwältigt war von so viel zur Schau gestellter Weiblichkeit - die Luft schwirrte förmlich vor lauter Haut, Haaren, Farbe, Schminke, Parfum, Klunkern... Ältere Frauen bevorzugen zwar noch traditionelle lange Gewänder, alten Silberschmuck und kunstvoll gewundene bunte Kopftücher, doch die Jugend hat sich weitgehend auf knallenge, wild gemusterte Polyester-Stretch-Kleider und High Heels eingeschworen. Eine dritte Stilrichtung, die sich von den Traditionellen und den Modernen abhebt, hätte Edward Said wohl dem Phänomen „Neo-Orientalismus“ zugeordnet – einige Mädchen und jüngere Frauen sahen nämlich aus wie Pseudo-Araberinnen auf einem österreichischen Faschingsfest: Käppchen mit Schleier, glitzernde Bauchtänzerinnentops und Pumphosen...
Als wir ankamen, saßen die Frauen in dem mafrajaehnlichen Saal und tratschten, vor sich kleine Sackerln mit Wasser, Soft Drinks und ein paar Keksen – was mich, die ich mir ein orientalisch-opulentes Gelage ausgemalt hatte, etwas enttäuschte... Ein paar ältere Frauen kauten Qat; Kinder in kitschigen Kleidchen tobten umher. Über Lautsprecher wurde Live-Musik aus dem Nebenraum übertragen, in den die (männliche) Band zwecks Wahrung der sittlichen Ordnung verbannt worden war.
Nach ein, zwei Stunden wurde die Stimmung etwas lebhafter, und einige Mädchen begannen, zu tanzen. Die Musik war eine Mischung aus traditionellen jemenitischen Liedern und arabischen Hits aus Ägypten und dem Libanon, und so wechselten auch die Tänze zwischen lokalen Schrittfolgen und modernem Bauchtanz.
Von der Braut fehlte indes noch immer jede Spur, und es sollte noch zwei weitere Stunden dauern, bis sie endlich erschien... meine Mitbewohnerin und ich unterhielten uns (und unfreiwillig auch alle anderen Gäste) währenddessen mit dem Versuch, uns auf der Tanzfläche ein paar Moves abzuschauen...

Und dann kam Reem. Sie betrat den Saal durch eine Tür, die direkt auf einen mit weißen Rosen geschmückten Catwalk führte. Ihr weißes, schulterfreies Kleid war über und über mit Straß besetzt und endete in einem weiten Reifrock. Die kunstvoll aufgesteckten Haare waren von einem weißen Schleier bedeckt, an Armen, Decolletée und um die Hüften trug sie schweren Goldschmuck. Wieder war sie stark geschminkt, Hände und Arme waren mit Henna bemalt. Es hatte irgendwie etwas sehr rührendes, wie sie da allein stand in ihrem kitschigen Prinzessinnenkleid, das zu weit war für ihren schmalen Körper, mit den Händen am Schleier nestelte, und schüchtern, aber gleichzeitig stolz in die Menge lächelte...
Die Gaeste begrüßten sie mit lauten Freudenrufen und Gratulationsgesängen, die Jugend (wir inklusive) bildete einen Kreis und tanzte. Reem bewegte sich währenddessen unendlich langsam auf das andere Ende des Catwalks zu, und nach jedem Schritt wurde sie von allen Seiten sicher zehntausendmal photographiert. Einige Frauen, die befürchteten, aus Versehen abgelichtet zu werden, zogen schnell ihre Abbayas an. Später wurde Reem in den Kreis der Mädchen geführt, und alles riß sich um einen Tanz mit ihr. Dann wurde sie, wie zwei Tage vorher, auf einen Thron gesetzt, wo sie sicher eine Stunde lang ausharren mußte. Mir scheint, die anderen Mädchen hatten viel mehr Spass als Reem selbst – ihre Aufgabe bestand weitgehend darin, sich geduldig bestaunen zu lassen.

Als wir schon fast gehen wollten, kam plötzlich Bewegung in den Saal – alle Frauen zogen hastig ihre Abbayas an, verhüllten ihre Haare und ließen ihre Gesichtsschleier über das Make-Up fallen... es war an der Zeit, die Braut in das Haus des Bräutigams zu begleiten.
Hassan und sein ältester Sohn kamen, posierten noch mit Reem für ein paar tausend Erinnerungsphotos, warfen ihr dann auch eine Abbaya um und brachten sie in ein mit Blumen geschmücktes Auto. Auch die restliche Festgesellschaft quetschte sich in Autos, die vor der Halle warteten, und laut hupend fuhr der Konvoi einmal um den Block, bevor man das Haus des Bräutigams erreichte – in diesem Falle war es natürlich nicht wirklich sein Haus, sondern wahrscheinlich das eines Verwandten.
Dort geleiteten die Frauen Reem in den Mafraj, wo sie ihre Abbaya wieder auszog (die anderen Frauen blieben ganz verhüllt).
Die Spannung stieg, während man auf den Bräutigam wartete... tausende Tanten zupften an Reems Kleid herum, zogen ihr den Schleier vors Gesicht und raunten ihr gute Ratschläge, Zusprüche, Ermunterungen zu...
Auf einmal betrat ein sympathisch wirkender junger Mann den Raum. Er trug, wie hierzulande an Feiertagen üblich, eine weisse Galabiya, darueber ein Jackett, seine Jambiya (Krummdolch) steckte in einem bunt bestickten Gürtel. Alles verstummte, als er sich auf seine Braut zubewegte und ihren Schleier hob. Kurz lächelte sich das Paar an, und dann mussten wieder unzählige Photos geschossen werden... der Bräutigam legte dabei unbeholfen den Arm um Reem und versuchte, selbstbewusst in die Kamera zu schauen, waehrend sie stocksteif und mit grossen Augen danebenstand...
Dann war es an der Zeit, das Paar alleine zu lassen.

Ich ging an diesem Abend mit gemischten Gefühlen nach Hause. Einerseits war ich erleichtert, dass der Bräutigam so nett gewirkt hatte. Aber was heißt das schon? In ein paar Wochen reist Reem dann endgültig mit ihm nach Saudi-Arabien ab. Sie läßt eine Schwester zurück, die jetzt alleine die Zeit im Keller totschlagen muß, und hat selbst eine Reise ins Ungewisse vor sich. Ich hoffe sehr, dass die beiden sich halbwegs vestehen und dass das dortige Netzwerk an verwandten und benachbarten Frauen Reem auffangen wird. Denn in einer Gesellschaft wie der hiesigen, wo die Geschlechtersegregation so stark ist, kommt es, wie mir scheint, mehr auf die Solidarität unter den Frauen an als auf eine glückliche Ehe im europäischen Sinn.

P.s. Ich muß noch etwas korrigieren: in „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ habe ich geschrieben, dass die meisten Frauen, die ich getroffen habe, mich nicht um meine Freiheiten beneiden und mit dem hiesigen Lebensmodell zufrieden scheinen. Inzwischen bin ich aber vielen Frauen begegnet, die sich sehr kritisch zu den hiesigen Traditionen äußern. Vor Allem jüngere und gebildetere Frauen wünschen sich mehr Selbstbestimmung und gesellschaftliche Mitsprache. Manche bitten mich sogar, ihnen einen österreichischen Ehemann zu vermitteln... Das heißt aber nicht, dass diese Frauen das westliche Lebensmodell unkritisch übernehmen wollen, sondern vielmehr, dass sie einen islamischen, jemenitischen Weg der Emanzipation suchen.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Und da dachte ich schon, bei der Überschrift "Hochzeit"... da ist jetzt ganzganzganz schnell was passiert in Jemen... aber nein, nur die Hochzeit einer Freundin...

LN, deine Blogs sind ein Geschenk vom Unteren Ende der Welt.

Anonym hat gesagt…

Liebe Leni, begeistert haben wir eben von Mami und Papi vorgelesen bekommen, wie die Hochzeit war! Das war sehr sehr spannend. Besonders viel Spaß machte es uns, uns vorzustellen, wie ihr beiden euch jemenitische Moves abschaut. Bei uns wirbeln Blätter und Graupelschauer durcheinander, der Winter kommt! Umarmung von deinen bewundernden Olbersdorfern.

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Leni hat gesagt…

Liebe Olbersdorfer,

danke fuer eure Nachrichten!! Hab mich so gefreut, und noch mehr freu ich mich auf ein Wiedersehen zu Weihnachten - ihr fehlt mir schon richtig, und Olbi auch!

Dickes Bussi,
Eure Leni

Anonym hat gesagt…

liebe Magdalena,
ich finde diesen bericht grossartig!
gibt es auch photos von der braut?
liebe grüsse
Adriana

Leni hat gesagt…

Liebe Adriana,

von der Braut gibt's Photos, aber es waere ihr sicher nicht recht, wenn ich sie ins Netz stellen wuerde... ich zeig sie dir aber gern einmal.

Alles Liebe aus Sana'a,
Leni