Samstag, 8. September 2007

Auf und ab

Liebe Leute,

zwei Wochen sind vergangen, und wir tuckern immer noch quer durchs Land. Langsam hab ich genug von billigen Hotels, in denen fleckige Teppichboeden und fremde Haare im Bett zur Standardausstattung gehoeren, und das immergleiche Essen (Fruehstueck Kaesesandwich, Mittag Hendl mit Reis, Abend Bohnen) kann ich auch nicht mehr sehn...
Unsere gestrige Fahrt hat mich aber wieder fuer einiges entschaedigt. Ausgangspunkt war die Kleinstadt Mahweet, die auf zirka 2000 Hoehenmetern ueber steilen Abgruenden thront, umringt von schroffen, zur Zeit gruen bewachsenen Gipfeln, ueber denen die Adler kreisen...
Auf einer abenteuerlich eng gewundenen Strasse geht es bergab, bergab, bergab, vorbei an Kaffeeplantagen, die in Terrassen angelegt sind, um den Steilhaengen das Maximum an urbarem Boden abzuringen, Hirten mit ihren Ziegen- und Schafherden, die ausschauen, als waeren sie gerade einer Bibelillustration ensprungen, und winzigen Doerfern, deren Steinbauten sich kaum von der felsigen Umgebung abheben.
Zwei Stunden spaeter sind wir auf null angelangt, und die Landschaft aendert sich drastisch: eine voellig flache, sandige Steppe, die Tihama, erstreckt sich bis ans rote Meer. Palmenhaine, strohgedeckte Lehmhuetten, Kamelherden – diese Region wird auch „der afrikanische Jemen“ genannt. Mit abnehmenden Hoehenmetern steigen die Temperaturen wieder gefaehrlich gen 50; vorbei ist’s mit der frischen, klaren Bergluft, die ich noch nie so genossen hatte wie nach den drei Tagen in Al Hodeida, wo saunaaehnliche klimatische Bedingungen herrschen. Hierzulande wuensche ich mir manchmal echt, als Wechselbluetler geboren zu sein...

Ein Wort noch zu Al Hodeida – diese Hafenstadt am roten Meer war bis jetzt der einzige Ort, an dem ich mich gar nicht wohl gefuehlt habe. Es mag daran liegen, dass ich nach monatelangem Herumreisen inzwischen schon ziemlich ausgelaugt bin; was mich aber besonders getroffen hat, war die unglaubliche Armut dieser Stadt. Waehrend an der Adener Uferpromenade abends Familien flanieren und in Al Mukalla Gruppen von Maennern bei Qat und Wasserpfeife Karten spielen, schlagen in Al Hodeida unzaehlige Obdachlose ihr Lager an dem rattenverseuchten Ufer auf.

Ueberhaupt ist mir auf dieser dritten Reise die Armut des Jemen staerker bewusst geworden. Es war wohl eine Art psychischer Schutzmechanismus, der mich anfangs vor allem das Schoene und Gute dieses Landes hat sehen lassen, waehrend die vielen unueberwindbar scheinenden Probleme einfach nicht bis in mein Herz durchgesickert sind. Doch ploetzlich wurden mir die vielen erschuetternden Bilder zuviel – der hoechstens sechsjaehrige Bub, der in Taiz den ganzen Tag lang die Strasse kehrt, die ausgemergelten Gesichter der Bettler, die allerorts an unsere Autofenster klopfen, die Hoffnungslosigkeit in einem kleinen Dorf, wo uns alle Einwohner, alt und jung, Mann und Frau, um etwas Geld baten.
Wie soll man inmitten dieser Realitaet leben, ohne voellig zu verzweifeln? Auf der Suche nach einer Strategie nehme ich mir meine jemenitischen Kollegen zum Vorbild, die zweierlei auf bewundernswerte Weise kombinieren: Grosszuegigkeit und Gottvertrauen.

Auf unserer Reise ging es bald wieder bergauf, tapfer erklommen unsere Jeeps die Berge und brachten uns sicher nach Hajja. Leider spricht nichts dafuer, dass es in der Entwicklung des Jemen ebenso steil bergauf geht, im Gegenteil...

Ich hoffe, euch geht’s allen gut, wo auch immer ihr steckt und was auch immer ihr tut, ob ihr an einem der vielen Enden der Welt das Abenteuer sucht oder in heimatlichen Gefilden chillt, ein Eis nach dem anderen verschlingt oder ein Dokument nach dem anderen kopiert, ob ihr in glasklare Fluten oder in die schnelle Welt der New Economy eintaucht...