Mittwoch, 24. Oktober 2007

Äthiopien

Kennt ihr das, wenn man von einer Reise zurückkommt und das Gefühl hat, die Seele noch irgendwo auf halbem Weg zurückgelassen zu haben...? So geht es mir gerade. Ich kann's noch gar nicht glauben, dass ich wirklich in Äthiopien war!
Mit ein Grund für meinen derzeitigen Zustand fröhlicher Verwirrung war sicher auch die völlige Ungeplantheit dieser Reise. Alles, was ich wusste, bevor ich letzten Freitag ins Flugzeug stieg, war, dass ich drei Tage später zwei deutsche Freunde aus Sana'a in Axum treffen würde. Doch zwischen Addis Ababa und Axum lagen 1400 km miserabler Straßen und viele Fragezeichen...

Samstag früh saß ich dann schon in einem der staatlichen Überlandbusse – leider in der allerletzten Reihe, weil ich nicht wusste, dass man sich die besseren Plätze Stunden vorher reservieren muss...
Gespannt und etwas reisefiebrig sah ich der dreitägige Fahrt durch ein Land entgegen, von dem ich herzlich wenig Ahnung hatte, und das in letzter Zeit nicht gerade gute Presse bekommen hat – bei Äthiopien denkt man zuerst einmal an Hungesnöte und bittere Armut.

Entsprechend überrascht war ich, als wir die Vorstädte von Addis hinter uns gelassen hatten: die Regenzeit hatte die sonst so karge, trockene Natur in ein Bild des scheinbaren Überflusses verwandelt; die Felder standen im Korn, die Wiesen waren so saftig-grün wie auf heimischen Almen, und Hirten, die mit ihren hohen Turbänen, weißen Umhängen und eleganten Gehstöcken eher wie archaische Könige aussahen, trieben langhörnige Rinder vor sich her...
Doch diese Pracht hält nur kurz an, bald wird der Boden wieder staubtrocken sein.

Aber ich hatte nicht nur Glück mit der Jahreszeit, sondern auch mit meinen Sitznachbarn, Soldaten auf dem Weg zur Grenze nach Eritrea. Sie sprachen zwar kaum Englisch, fühlten sich aber gleich für mich verantwortlich, organisierten mir abends eine Unterkunft, brachten mir die hohe Kunst des Injera-Essens bei (das äthiopische Nationalgericht, ein säuerlicher Fladen, mit dem man verschiedene Soßen auftunkt) und steckten mir pausenlos Proviant zu.
Das mit dem Proviant war überhaupt faszinierend: alles wurde geteilt, und so selbstverständlich wie man anbot, nahm man die Speisen der anderen auch an. Keinem wäre eingefallen, nur zwei Bananen am Straßenrand zu kaufen, nein, man kaufte gleich zehn und verteilte sie unter den Nachbarn.
Der Busfahrer unterhielt indes seine Passagiere hie und da mit kleinen Showeinlagen, indem er Witze ins Mikrofon brüllte und den nächsten Song ankündigte, was zu kollektiven Ausbrüchen von Heiterkeit führte... Auch meine Kamera und mein Reiseführer erfreuten sich unter den Fahrgästen großer Beliebtheit. Jeder wollte ein paar Photos schießen und die Karte seiner Heimatstadt oder -region studieren, und so brauchten wir nicht viele Worte, um uns blendend zu verstehen.

Drei Tage und dreißig holprige Fahrstunden später kam ich verstaubt, verschwitzt und erschöpft in Axum an, der ehemaligen Hauptstadt des ältesten Königreiches Äthiopiens. Die historische Bedeutung diese Ortes war mir aber zunächst völlig egal, ich wollte nur duschen... das Hotel, das ich mit meinen Freunden als Treffpunkt ausgemacht hatte, war verglichen mit den Absteigen der letzten Nächte reinster Luxus, und so genoß ich die Ruhe und den köstlichen äthiopischen Kaffee (mit Milchschaumhaube!). Am frühen Abend kamen die beiden, und wir machten große Pläne, was wir uns alles am nächsten Tag anschauen wollten, bevor wir am Mittwoch früh nach Lalibela weiterfliegen würden.
Doch es kam alles anders... am nächsten Morgen erfuhren wir, dass der Flug am Mittwoch schon ausgebucht war, und so blieb uns nichts anderes übrig, als noch am selben Vormittag Axum zu verlassen. Immerhin konnten wir auf dem Weg zum Flughafen noch kurz bei den berühmten Grabstelen stehenbleiben und, wie die japanischen Touristen, schnell ein paar Photos schießen...

Und dann waren wir in Lalibela... so lange schon wollte ich die berühmten Felsenkirchen sehen, und auf einmal stand ich davor!
Der Legende nach hatte König Lalibela im 13. Jahrhundert von Gott im Traum den Auftrag bekommen, ein zweites Jerusalem zu errichten. Wie die Handwerker es fertigbrachten, die Bauten aus dem Fels herauszuschneiden und von innen auszuhöhlen, ist nach wie vor ein Rätsel. Nirgendwo sonst in Äthiopien findet man Spuren derartigen technischen Geschicks und stilistischer Perfektion. Da gibt es keine gemauerten Stellen, keine Ausbesserungen, keinen Makel – die Kirchen sind nahezu perfekt, wenn die Zeit ihnen auch zugesetzt hat.

Am schönsten fand ich das kreuzförmige Bete Gyorgis, das frei in einem tiefen Schacht steht, umgeben von dem Felsen, aus dem es herausgeschnitten wurde. Zeitlos und anmutig steht es da, als wäre es vollendet vom Himmel gefallen.
Innen sind die Kirchen eng und dunkel, die Wände teils mit Wandmalereien bedeckt. Priester in prachtvollen bunten Gewändern zeigen den Besuchern Kreuze und alte Schriften.



Bete Gyorgis

Zwei Tage verbrachten wir in Lalibela und Umgebung. In einem Kloster außerhalb des Ortes war gerade ein Begräbnis in Gange, als wir kamen. Unmengen von Leuten hatten sich vor der Kirche versammelt, die meisten in ärmlicher Kleidung und sichtlich untergewichtig. Die Diskrepanz zwischen diesen klapprigen Gestalten und der sie umgebenden fruchtbaren Natur schien mir unerklärlich. Erst meine Freunde in Addis konnten mir diese chronische Nahrungsknappheit verständlicher machen. 80 Prozent der äthiopischen Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft. Das Land wird unter den Kindern aufgeteilt, und da es derer immer mehr gibt, fallen den Erben immer kleinere Anbauflächen zu. Die Anbaumethoden sind mittelalterlich, die Böden oft schwer bebaubar, und die Erträge daher sehr gering. Hinzu kommen unsichere Niederschläge, die Abgelegenheit vieler Regionen, die nicht an das schwache Straßennetz angebunden sind, steigende Getreidepreise und der mangelnde Wille der Regierung, das drastische Versorgungsproblem in Angriff zu nehmen. In einem anderen Kloster trafen wir ein 18jähriges Mädchen, das wir auf 14 geschätzt hätten, so schmächtig war es – Mangelernährung hatte seine körperliche Entwicklung gehemmt.

In Addis Ababa, unserer nächsten Station, existieren Reichtum und Armut, Fortschritt und Verzweiflung dicht nebeneinander. Die Stadt wächst rasant an, und mit ihr auch das Angebot für die vielen Ausländer und die einheimische Oberschicht: hier gibt es schicke Restaurants, stylishe Nachtclubs, Einkaufszentren und neuerdings sogar einen deutschen Bäcker, bei dem die Kundschaft für Schwarzbrot und Nussschnecken Schlange steht... alles Dinge, von denen man in Sana'a nur träumen kann. Aber auf der anderen Seite sieht man hier aber auch viel Elend: Bettler, Obdachlose, Slums. Ich hatte mich vor dieser Armut gefürchtet, und mich zeitweise auch gefragt, ob es moralisch vertretbar ist, als Touristin in ein Land zu fahren, das seine Bevölkerung kaum ernähren kann. Aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass gerade in Äthiopien ein vernünftiger Tourismus viel Gutes bringen kann.

Ein positives Beispiel dafür ist ein von der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, deutsche Entwicklungsorganisation) ins Leben gerufene Ökotourismusprojekt in einem Nationalpark südlich von Addis. Dorthin fuhr ich mit drei GTZ-Praktikantinnen, um drei Tage lang teils zu Fuß, teils zu Pferde von einer Lehmhütte zur nächsten zu ziehen, immer weiter bergauf, bis wir auf 3600m standen, von Wind und Regen umbraust...

Nach dieser erlebnisreichen Tour verbrachte ich noch ein paar sehr gemütliche Tage bei meinen Freunden in Addis - lesend, schlafend und essend...

Ich sehe gerade, der Bericht ist viel zu lang geworden... deshalb nur noch einmal schnell tausend Dank an Ulli und Albert – ohne Euch wäre diese Reise nie zustande gekommen!

Photos vom Nationalpark kommen noch...

Mittwoch, 3. Oktober 2007

Ramadan karim!

Seit drei Wochen schon steht hierzulande die Welt kopf, und seit drei Wochen schon nehme ich mir vor, diesen Zustand in Worte zu fassen.

Da wäre zunächst der völlig verdrehte Tagesablauf. Vor zwölf Uhr mittags ist kaum jemand auf der Straße, alle Geschäfte haben zu, die Stadt liegt in tiefem Schlummer. Nachmittags geht man halbherzig und hungrig seinen Verpflichtungen nach, doch je näher der Sonnenuntergang rückt, desto hektischer wird die Stimmung. Scharen von Frauen drängen sich beim Bäcker und im Greißler am Eck, die Männer versorgen sich mit Qat. Alle haben es eilig, denn bald darf endlich wieder gegessen werden...
Bei Einbruch der Dunkelheit gibt der Ruf des Muezzins das Startsignal zum Iftar, dem Fastenbrechen. Man beginnt mit einer Dattel – die hierzulande als Paradiesfrucht gilt - und einem Glas Wasser. Dann folgen in Fett ausgebackene Teigtaschen (Sambusas), die den ersten Hunger stillen sollen, bis nach dem Abendgebet das Festmahl mit traditionellen Ramadanspeisen beginnt. Freunde und Verwandte besuchen sich gegenseitig und essen gemeinsam.

So still es zur Zeit untertags ist, so lebendig ist es nachts – da wird gearbeitet, gefeiert, gefeilscht und gelärmt. Kinder spielen bis lange nach Mitternacht auf den Strassen, werfen Knaller und entzünden kleine Feuer. Sogar Frauen sind zuhauf zu sehen, vor Allem auf den Märkten und Einkaufsstraßen – denn nach Ramadan kommt der Eid, anlaesslich dessen man sich von Kopf bis Fuß neu einkleidet. Reminiszenzen an die Mariahilfer Straße am vierten Adventssonntag werden wach...
Viele Jemeniten bleiben bis zum ersten Gebet kurz vor Sonnenaufgang wach, frühstücken noch einmal, und legen sich dann ins Bett, wo sie bis mittags oder gar länger bleiben – was den großen Vorteil hat, dass die Zeit des Fastens um etliche Stunden verkürzt wird...
Andere arbeiten wiederum, obwohl sie den ganzen Tag weder essen noch trinken, ganz normal, was ich maßlos bewundere. Die Erschöpfung steht diesen tapferen Helden aber ins Gesicht geschrieben... mein Arabischlehrer bekam beim Deklinieren des Verbs „essen“ einen so sehnsüchtigen Blick, dass ich vor Mitleid verging, und neulich im Taxi sah ich im Rückspiegel, wie die Augen des Fahrers immer kleiner und kleiner wurden, was mich auf einmal zu ungeahnter Gesprächigkeit im Arabischen befähigte... ist diese Sprache also doch zu etwas gut!

Die allgemeine Stimmung wird mit Fortschreiten des Ramadan spürbar gereizter, die Menschen wirken - vor Allem gegen Ende des Tages - unausgeglichen. Im Strassenverkehr wird mehr gebruellt, NOCH mehr gehupt als sowieso immer schon, und laut Zeitung häufen sich auch die Unfälle. Vor ein paar Tagen stand plötzlich ein Militärlaster genau vor unserer Tür, inklusive acht Soldaten mitsamt Kalashnikovs auf der Ladefläche... als ich Hassan, unseren Hausverwalter, danach fragte, zuckte er nur mit den Schultern und meinte „Es ist Ramadan!“. Inzwischen haben sich diese neuen Nachbarn schon gut ins Straßenbild eingefügt und grüßen mich freundlich... Meine Mitbewohnerin beschwert sich in letzter Zeit öfter ueber unverschämte Männer - ein Problem, das hier ansonsten, verglichen z. B. mit Rom, kaum ein Thema ist.
Kurzum, alle spielen ein bisschen verrückt...

Aber der Ramadan hat durchaus auch seine guten Seiten. So versorgen uns Hassans Töchter fast täglich mit frischen Sambusas, am Vormittag ist es herrlich still, und die Arbeit im Ministerium beginnt erst um 10 Uhr. Ich habe in den letzten Wochen aber sowieso nachts gearbeitet, unsere Workshops in der Hauptstadt waren eine eher zaache G'schicht, viele Organisationen haben im letzten Moment abgesagt oder sind einfach gar nicht gekommen, die Arbeitsmoral meiner Studenten war im Keller, und meine ebenso.

Deswegen, und weil wir ueber Eid einige Tage frei haben, UND weil ich mir damit einen Traum erfülle, hab ich kurzerhand beschlossen, für zwei Wochen nach Äthiopien zu fliegen! Am Freitag geht es los, ich bin schon furchtbar gespannt. Der nächste Bericht wird dementsprechend anders ausfallen...

Und weil's so schön war vorletzte Woche im Haraz-Gebirge, hier ein paar Photos.
Zuletzt noch ein shout out an Soldier Women, Lucky und Uchti – war grandios mit euch!!!

Leni