Montag, 10. Dezember 2007

Es weihnachtet nicht sehr...

Ein Blick auf den Kalender lässt mich vermuten, dass ihr eure Körper inzwischen mit allerlei wärmenden Schichten umgebt, eure Mägen mit Punsch, Tee und Keksen füllt und euch inmitten alle Jahre wiederkehrender Phänomene wiederfindet, die in Summa unter dem Begriff „Vorweihnachtszeit“ bekannt sind: Beleuchtungskitsch und X-Mas-Special-Sonderangebote, Weihnachtsmann-Mimen mit schlecht sitzenden Rauschebärten, „gemütliches Beisammensein“ (ha ha) auf betriebsinternen Weihnachtsfeiern, seichtes Chorgeträller mit Glöckchensound beim Billa, Invasionen karitativer Türklinkenputzer... aber vielleicht auch ruhige Minuten vor dem Adventskranz, während draußen leise der Schnee rieselt, Rückbesinnung auf Wesentliches oder gar transzendente Erfahrungen beim Vanillekipferlbacken...?
Soweit meine Mutmaßungen. Es könnte natürlich auch sein, dass dieses Jahr alles anders ist, dass Weihnachten heuer streng asketisch begangen wird, man sich Asche aufs Haupt streut, seine Kleider zerreißt und Konsumenten verprügelt. Oder vielleicht darf's diesmal etwas Exotisches sein? Spiritistische Séancen mit Südeseeschamanen?
Doch wie ich Wien kenne, ist alles beim Alten. Und hier? Nichts von alledem! Zwischen Qat, Krummdolch und Kalashnikov wären goldene Engerln und Lametta aber auch einfach deplaziert. Nehmt es mir darum bitte nicht übel, wenn mein heutiger Bericht wenig weihnachtlich ausfällt...

Es geht um Waffen. Das Thema beschäftigt mich hier schon länger; dass ich aber ausgerechnet im Advent darüber schreibe, liegt an einer kleine Landpartie, die ich dieses Wochenende mit ein paar Freunden gemacht habe. Ziel war die berüchtigte Provinz Marib, Heimat der legendären Königin von Saba, Wiege der jemenitischen Kultur, aber auch Gebiet aufsässiger Stämme, womöglich gar Brutstätte des Terrorismus...
Da die Region aber in letzter Zeit ruhig war, hat die deutsche Botschaft ihr Reiseverbot aufgehoben, und so nutzten wir die Gelegenheit, unter der Leitung einer erfahrenen Kollegin eine kleine Tour machen zu können.

So schön war’s – am liebsten würde ich euch jetzt seitenlang das phantastische Erlebnis schildern, in der Dunkelheit auf einer noch warmen Sanddüne zu liegen und den Sternenhimmel zu bestaunen, verloren in den endlosen Weiten der Wüste...
Aber die „Waffen-Story“ dängte sich mir das ganze Wochenende lang förmlich auf - deshalb werde ich sie mir jetzt von der Seele schreiben.
Schild am Eingang zu einem Spital

Als wohlbehütete Wienerin war mir der Anblick von Waffen natürlich völlig fremd, sieht man von den paar Kieberern ab, die dort ihre Pistölchen spazieren tragen, einmal zum Würstelstand und wieder zurück. Auch bin ich kein Fan von Action-Movies und Ballervideospielen und halte es eher mit der alten Bauernweisheit „Make love, not war“. Umso erstaunlicher ist es, dass ich inzwischen beim Anblick eines Sturmgewehres nicht einmal mehr verächtlich die Augenbraue hebe.
Zwei Steinwürfe von meiner Wohnung entfernt steht ein stark gesichtertes Gebäude - je nach Quelle entweder die Zentrale des jemenitischen Geheimdienstes oder das Gefängnis für Terroristen und politische Gefangene. Fast jeden Tag gehe ich an den Soldaten vorbei, die davor patrouillieren, und am Anfang hatte ich dabei immer ein mulmiges Gefühl - was, wenn einer von ihnen ein bisschen irre oder hypersensibel ist, oder mich angesichts meiner Größe für einen verkleideten Fundamentalisten mit Sprengstoffgürtel unter der Abbaya hält...?
Inzwischen gehe ich dort so seelenruhig vorbei, als spazierte ich durch den vierten Wiener Gemeindebezirk. Die Nachbarkinder scheren sich auch kein bißchen um die martialischen Gestalten - sie nutzen den abgesperrten Gehsteig als Fußballfeld. Neulich sah ich, wie einer der Soldaten seine Kalashnikov von der Schulter nahm, neben sich auf den Boden legte und zu beten begann... Waffen gehören hier einfach zum Alltag wie anderswo Regenschirme oder Aktentaschen.

Für eine Reise durch Marib ist so ein Gewöhnungseffekt auf jeden Fall von Vorteil. Sonst geht es einem womöglich wie jenem jüngst eingereisten hochrangigen Botschaftsangestellten, der sich zum Gespött der internationalen Community gemacht hat, weil er überall herumerzählt, er sei nur knapp einem Entführungsversuch entkommen: als sein Konvoi an einem Militärcheckpoint in Marib hielt, sei plötzlich aus dem Jeep vor ihnen ein Haufen Männer ausgestiegen, die – und jetzt haltet euch fest - mit Kalashnikovs bewaffnet waren! Zum Glück sei er mutig und geistesgegenwärtig genug gewesen, sofort in sein Auto zu springen und James-Bond-mäßig mit quietschenden Reifen davonzufahren...
Warum ihn alle auslachen? Der Punkt ist: alle Männer, die in Marib aus Autos steigen, tragen Kalashnikovs, alle Männer, die dort am Straßenrand sitzen und Qat kauen, tragen Kalashnikovs, alle Männer, die auf dem Markt ihre Ziegen verkaufen, tragen Kalashnikovs. Ich war dort, ich kann's bezeugen: Waffen, soweit das Auge reicht.

Es begann am ersten Checkpoint nach Sana’a, wo uns eine Militäreskorte aufgehalst wurde – ein Pickup mit fünf bewaffneten Soldaten auf der Ladefläche. Hier holte unser Fahrer, ein Beduine aus Marib, auch seine Kalashnikov ab, die er bei der Polizei deponiert hatte (das Tragen von Waffen ist neuerdings in allen größeren Städten verboten). Den Schaft lässig zwischen Brems- und Gaspedal geklemmt, den Lauf direkt auf den Beifahrersitz gerichtet, war die Maschine optimal griffbereit verstaut...
Auf der Hauptstraße, die quer durch Marib führt, hat die Regierung alle paar Kilometer Militärcheckpoints errichtet - ein verzweifelter Versuch, die stolzen und unabhängigen Stämme unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die Prozedur ist eine reine Farce: man hält an, gibt den Soldaten eine Kopie der Reisegenehmigung, beantwortet ein paar Fragen, fährt weiter. Einige Soldaten sind blutjung, manche verraten sich als Analphabeten, indem sie die Genehmigung konzentriert studieren, obwohl sie sie falsch herum halten... Ihre Waffen beeindrucken in dieser Region keinen, sind doch die „Zivilisten“ ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet – Krummdolch, Sturmgewehr und Patronengürtel gehören hier zur Standardausstattung (der Männer, versteht sich, Frauen hab ich überhaupt keine gesehen).

Schießübungen in der Wüste

Kurzum: es wundert mich nicht mehr, dass der Jemen mit 61 Waffen pro 100 Einwohnern nach den USA und Finnland auf Platz 3 der bewaffnetsten Staaten der Welt rangiert (Quelle: Small Arms Survey 2007, Graduate Institute of International Studies). Wenn man bedenkt, dass ca. 50 Prozent der jemenitischen Bevölkerung unter 15 Jahre alt ist, und dass ungefähr die Hälfte der Erwachsenen Frauen sind, dann kommen auf 25 erwachsene Männer 61 Waffen! Mein einheimischer Kollege scheint recht zu haben, wenn er sagt: „Yemen is like Texas – we are all Cowboys!“ Früh übt sich...

Doch was MACHEN die Jemeniten mit all diesen Waffen? Die erste Erklärung findet sich, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen Sana'as spaziert. Hier ist das Tragen von Schußwaffen zwar inzwischen verboten, doch der Stolz, mit dem die Burschen und Männer ihre Krummdolche vor sich hertragen, lässt keinen Zweifel daran, worum es primär geht: um Ehre, Männlichkeit, Status und Macht. Das Tragen von Waffen ist tief in der jemenitischen Tradition und Gesellschaftsstruktur verwurzelt – will man die vielen Kalashnikovs verstehen, so muss man sich diese genauer anschauen.

Die dominierende gesellschaftliche Gruppe unter den Jemeniten sind die Qaba'il, die Mitglieder von Stämmen. Der Nationalstaat hat in weiten Teilen des Landes kaum Einfluß auf den Alltag der Menschen, der von tribalen Regeln, Werten und Gesetzen geprägt ist. In diesem Kontext wird von einem Mann erwartet, dass er sein Land, seine Familie und seine Ehre verteidigen kann. Diese Vorstellung besteht vor Allem in ländlichen Gegenden ungebrochen fort. Mangelndes Vertrauen zum Staat und seiner Exekutive, die von vielen als feindlich empfunden werden, und die sich zuspitzende sozio-ökonomische Situation haben die Nachfrage nach Waffen sogar noch gesteigert.

Dass es in einem Land, in dem 16 % der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag lebt, angesichts einer derartigen Waffendichte nicht zu völliger Anarchie kommt, zeugt von starken sozialen Kontrollmechanismen. Wie alles in dieser konservativen Gesellschaft, ist auch die Verwendung von Waffen strengen ungeschriebenen Gesetzen unterworfen. So wäre hierzulande ein bewaffneter Raubüberfall höchst unüblich, während Ehrenmorde und Blutfehden in gewissen Situationen und bei bestimmten Gruppen fast unumgänglich sind – ein Mädchen in Al Jouf hat uns zum Beispiel erzählt, dass die meisten männlichen Einwohner ihres Dorfes ihre Häuser nicht mehr verlassen, weil sie sich sonst aufgrund einer Blutfehde alle gegenseitig umbringen müssten.

Die Regierung versucht neuerdings, die Verbreitung von Waffen im Land mittels strengerer Gesetze einzudämmen – hat sie womöglich Angst vor ihrem eigenen Volk? Dessen Unmut über steigende Preise, ungerechte Verteilung von Chancen und Ressourcen zwischen Nord und Süd, fragliche staatliche Ansprüche auf Land und Bodenschätze, Verstöße gegen die Pressefreiheit etc. etc. wächst stetig, und äußert sich vermehrt in Form von Demonstrationen und Streiks. Bis jetzt sind die Proteste relativ friedlich verlaufen. Meine Bitte ans Christkind: dass es so bleibt, oder gar besser wird, wenn das noch auf den Wunschzettel passt...

Ihr dürft aber nicht glauben, dass ich euch die Weihnachtsstimmung verderben will – ganz im Gegenteil! Ich wünsche euch von ganzem Herzen Friede, Freude und Florentiner! Genießt den Advent und denkt an mich, wenn ihr Lebkuchen eßt oder „O Heiland reiß' die Himmel auf“ singt...





Donnerstag, 15. November 2007

Parallelgesellschaft

Es gibt unter den Bewohnern Sana’as eine besonders exotische Gruppe, die ich in den letzten Wochen anlässlich zweier Events genauer studieren durfte: die Ausländercommunity.
Obwohl die meisten Zuwanderer schon seit Jahren hier leben, bevorzugen viele den Kontakt mit ihresgleichen, anstatt sich intensiv um Anschluß an die Mehrheitsgesellschaft zu bemühen. Dem geschulten Ethnologinnenblick springt vor Allem ihr nostalgisches Festhalten an teils skurrilen und für Außenstehende unverständlichen Ritualen und Traditionen ins Auge, die selbst in den jeweiligen Herkunftsländern umstritten sind. Und während nach Außen hin die Regeln und Konventionen des Gastlandes respektiert werden, spielen sich bei den internen Zusammenkünften oft Dinge ab, die im Jemen eindeutig als verwerflich gelten...

Bestes Beispiel hierfür ist der Stellenwert, den Alkohol hierzulande unter den Ausländern einnimmt. Dessen Omnipräsenz in Europa grenzt ja auch schon fast ans Zwanghafte, was mir erst so richtig auffällt, seitdem ich hier bin. Aber in der hiesigen Expat-Community hat hat sich ein regelrechter Alkohol-Kult entwickelt – ob dieser Sakralisierungsprozeß eine neue Diasporareligion hervorbringen wird, ist unter Experten noch umstritten. Fest steht aber, dass hier ordentlich gesoffen wird - ob aus Protest gegen die allzu konservative jemenitische Gesellschaft, aus Heimweh, Langeweile, Einsamkeit... ich weiß es nicht.

Eigentlich hatte ich mich auf ein nüchternes Jahr fernab aller profanen Rauschzustände eingestellt; inmitten gleichgesinnter Idealisten würde ich anstatt mittels hochprozentiger Substanzen allein durch Kontemplation in geistige Verzückung geraten... soweit der Plan. Doch schon auf der ersten Ausländerparty wurde ich Zeugin eines erstaunlichen Schauspiels, das sich seitdem ständig wiederholt: erwachsene Männer und Frauen - beliebt, erfolgreich und von impekkabler Reputation - stürzen sich auf die Drinks wie Halbverdurstete nach einer Wüstendurchquerung und murmeln, falls sie sich ertappt fühlen, Entschuldigungen wie „Hier muss man sich ja auch mal was gönnen...“ oder „Nicht wahr, im Jemen kriegt man das so selten..?“.
Wobei „selten“ scheinbar Definitionssache ist – bald konnte ich nämlich eine einfache Regel aufstellen, die in Sana'a fast immer Gültigkeit hat: wo Ausländer sind, da ist auch Alkohol...

Aber: aus welchen geheimen Quellen speisen sich diese umfangreichen Vorkommen an verbotenen Flüssigkeiten in einem Land, in dem es - von ein paar zwielichtigen Spelunken abgesehen, wo Schmuggelware unter der Hand verscherbelt wird – nirgends Alkohol zu kaufen gibt? Des Rätsels Lösung – jedenfalls, was die hiesigen Deutschen betrifft – ist die sogenannte „Helia-Lieferung“, eine über die Botschaft laufende Bestellung bei einem deutschen Großhändler, der per Katalog so ziemlich alles anbietet, was einem im Jemen abgehen könnte - von A wie Averna bis Z wie Zahnseide... Zweimal im Jahr dürfen Angestellte der Botschaft und der Entwicklungszusammenarbeit dort bestellen, wobei aber die Pro-Kopf-Ausgaben für Alkohol die lächerliche Summe von 500 Euro nicht überschreiten dürfen. Diese Regelung hat weitreichende sozio-ökonomische Folgen: wer sein eigenes Kontingent nicht selbst ausschöpft, gewinnt plötzlich die Macht, nach Belieben Gnaden zu gewähren oder zu verweigern, den einen zu erhören und somit für immer in unterwürfiger Dankbarbeit an sich zu binden, und den anderen eiskalt abblitzen zu lassen, auf daß er sich die Haare raufe und mit den Zähnen knirsche...

Wer in Sana'a auswärts etwas trinken gehen will, hat nur drei Möglichkeiten: Sheraton, Mövenpick oder den legendären „Russian Club“. Hierbei handelt es sich um die einzige Location in ganz Jemen, die man mit etwas Phantasie bzw. nach ein paar Vodka-Shots als „Nachtclub“ bezeichnen könnte. Zwei platinblonde, mürrische Russinnen schmeißen den Laden, dessen Ausstattung und Atmosphäre an eine heruntergekommene Dorfdisko erinnern. Neben den Getränkeflaschen stehen Babushkas im Regal, an der Wand hängen sowjetische Militärorden neben einer orthodoxen Ikone. Auf der mit mit ausgesuchten Geschmacklosigkeiten von Abba bis Modern Talking beschallten Tanzfläche trifft sich die kleine Leidensgemeinschaft der jungen Ausländer, die sich angesichts der hiesigen Strenge nach etwas Party sehnen...
Ganz anders die Stimmung in den beiden Luxushotels. Ein einziges Mal war ich im hauseigenen Club des Mövenpick, welcher der den klingenden Namen „Horse Shoe“ trägt (hiermit schreibe ich einen Wettbewerb um die plausibelste Erklärung für die Wahl ausgerechnet dieses Namens aus – dem glücklichen Gewinner winkt ein Drink in ebendiesem), und das hat mir schon gereicht.
Nachdem uns der Türsteher gnädig durchgewunken hatte, bot sich uns ein Anblick, der die perfekte Antithese zu jenem Land darstellte, das jenseits der Hotelpforten lag: auf der Bühne standen drei langhaarige Asiatinnen in bauchfreien Tops, Lackhotpants und hohen weißen Lederstiefeln und gaben eine Art “Sexy-Tanz-Playbackshow” zum besten... An der Bar und in den Sitzecken der pseudo-edlen, schummrigen Lokalität saßen ausschließlich Männer.
Nach der Show tauchte auf einmal eine Gruppe schwarz verhüllter Gestalten auf und steuerte direkt auf das Damen -WC zu. Ein paar Minuten später kamen weiß gepuderte, stark geschminkte Fräulein in knappen Outfits zum Vorschein...es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell solche Verwandlungen gehen! Im Nu verteilten sie sich strategisch über Bar und Tanzfläche, und mich überkaum das ungute Gefühl, die einzige Frau im Raum zu sein, die nicht aus beruflichen Gründen hier war...

Doch zurück zu den Ausländern und ihren Macken. Das teils drastische Auseinanderklaffen zwischen hiesiger Realität und Exilkultur ließ sich auch unlängst in der deutschen Botschaft beobachten, wo der Tag der deutschen Einheit nachgefeiert wurde. Die deutsche Community Sana’as und internationale Gäste taten sich an Schweinsschnitzeln, Würstchen und Bier gütlich, während eine bayrische Lederhosencombo für Schunkel-Bierzeltstimmung sorgte – gut, daß wohl kaum ein Jemenite deren deftige Texte verstand...
Einen noch krasseren Kontrast zum „normalen“ jemenitischen Alltag bot aber eine Salsa-Party, die vor ein paar Tagen im diplomatischen Club geschmissen wurde. Als die ersten Kubanerinnen in kurzen Kleidchen mit ihren abenteuerlichen Hüft- und Hinternschwüngen die Tanzfläche eroberten, waren auf einmal alle Angestellten – Köche, Kellner, Nachtwächter – zur Stelle; auf ihren Gesichtern spiegelte sich eine Mischung aus Faszination und blankem Entsetzen...

Es gäbe noch unzählige Beispiele, die belegen, dass der Integrationswille der Zuwanderer hier im Jemen generell als mangelhaft gewertet werden muss. Viele bemühen sich nicht einmal, Arabisch zu lernen, sondern erwarten von den Einheimischen, dass diese Englisch sprechen. Kurzum: diese Leute WOLLEN sich gar nicht anpassen! Im Gegenteil: sie unterwandern bewußt die nationale Identität, die hiesigen Traditionen und Gesetze! Komischerweise habe ich hierzulande trotzdem von keinem Politiker gehört, der diese bedenklichen Zustände anprangert. Auch Slogans wie „Sana’a darf nicht Sidney werden!“ oder „Muezzin statt Bummerin!“ sucht man vergeblich...

Montag, 5. November 2007

Hochzeit

Ich habe euch doch schon von Reem erzählt, Hassans 23jährigen Tochter, die verheiratet werden sollte? Neulich war es soweit, und ich durfte endlich miterleben, was sich auf den mysteriösen Frauenparties abspielt...

Schon Wochen vor dem großen Tag war Reem in hellster Aufregung gewesen – was nicht verwunderlich ist, wo sie doch ihren Bräutigam, einen in Saudi-Arabien lebenden entfernten Cousin, noch nie gesehen hatte.
Konnte sie sich auch den Zukünftigen nicht aussuchen, so hatte die Braut in spe doch viele kleinere Entscheidungen zu treffen - Hochzeitskleid, Einladungen, Location etc.-, wobei ihre weiblichen Angehörigen sie nach Kräften verunsicherten, da jede noch so entfernte Tante die allerbeste Lösung parat hatte... insofern gibt es also durchaus Parallelen zur Vor-Hochzeitszeit in Europa.
Wie es dabei in Reems Innerem aussah, konnte ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Sie, die seit Abschluß der Pflichtschule ihre Tage in der väterlichen Kellerwohnung verbracht hatte, die bei jeder Gelegenheit rot wird, die Augen niederschlägt und hinter vorgehaltener Hand zu kichern beginnt, deren Welt nur vier männliche Bewohner hat – Vater und Brüder- , soll auf einmal zu einem unbekannten Mann in ein unbekanntes Land ziehen!
Ohne Zweifel ist Reem eine gute Partie, denn sie besitzt alle Qualitäten, die nach hiesigen Vorstellungen (nur nach hiesigen...?) eine perfekte Ehefrau ausmachen: sie ist wohlerzogen, fromm, schön, herzensgut, in Haushaltsdingen gewandt, bescheiden und (soweit ich das beurteilen kann) fügsam. Doch wie würde ER sein? Hatte der Vater den Richtigen ausgesucht? Und was, wenn nicht?

Eine Woche vor der Hochzeit kam der Bräutigam nach Sana’a, und – o Wunder - Reem durfte ihn sogar kurz treffen! Natürlich unter strenger väterlicher Aufsicht, aber auch das ist schon die Ausnahme – die meisten Paare sehen sich auf der Hochzeit zum ersten Mal. Nachher erzählte Reem mir mit einem Lächeln, das zwischen Aufregung, Angst und Freude schwankte, er sei schüchtern gewesen und habe einen netten Eindruck gemacht...

Zwei Tage vor der Hochzeit wurde unser Haus zum Männer-Sperrgebiet erklärt, im Stiegenhaus drängten sich haufenweise aufgebrezelte Frauen und erwarteten, singend und die typischen arabischen Hochzeitsrufe ausstoßend (für Insider: die Amama konnte das!), die Braut. Nach einer Stunde kam sie dann endlich, und ich hätte sie kaum wiedererkannt. Reem, die ich sonst immer nur in Hauskleidung gesehen hatte (Trainingsanzug, einfache Röcke, T-Shirts), trug ein giftgrünes (grün ist die Farbe des Propheten), über und über mit Strass, Glitzer und Rüschen besticktes Kleid mit Reifrock, das sie wie eine Prinzessinnendarstellerin aus Disneyland aussehen ließ. Gesicht und Decolleté waren weiß gepudert, die Augen pechschwarz umrandet, die Lider schillernd bunt bemalt und die Lippen blutrot. Aus der Ferne sah sie aus wie eine Puppe, aus der Nähe musste man sich fast ein bißchen vor ihr fürchten...
Mit einem nervösen, unsicheren Lächeln, leicht überfordert von der vielen Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde, stand Reem zwischen den vielen singenden und Konfetti werfenden Frauen und ließ sich von ihnen in eine Wohnung führen. Dort setzte man sie im Mafraj auf einen mit Plastikblumen geschmückten Thron, während sich die anderen Frauen dicht zusammengedrängt auf dem Boden niederließen. Aus der Stereoanlage dröhnte arabische Popmusik, und trotz der Enge standen immer wieder Mädchen auf, um paarweise die traditionellen jemenitschen Tänze mit ihren eleganten, gemessenen Bewegungen aufzuführen.
Der Braut blieb indessen nichts anderes übrig, als von ihrem Thron aus dem bunten Treiben zuzuschauen und sich zu langweilen... Nach einer halben Stunde wurde sie zum Gebet weggeführt - keine Ahnung, wie und wo sie das in diesem Aufputz hingekriegt hat. Meine Mitbewohnerin und ich hatten inzwischen genug davon, uns wieder einmal wie exotische Tiere im Zoo bestaunen zu lassen... denn so freundlich das große Interesse der Damen an uns beiden auch war, so ist es doch auf die Dauer anstrengend. Deshalb verließen wir die Hochzeits-Pre-Party, die sich noch bis spät in die Nacht hinzog...

Letzten Samstag war es dann soweit: die Hochzeit! Ich hatte mir noch schnell einen billiges Kleidchen gekauft, das aber in Sachen Glamour, Kitsch und Glitzer nicht einmal annähernd an jene der anderen Gäste, vor allem der jüngeren Mädchen, herankam. Nach einem halben Jahr im Jemen habe ich mir den Anblick von weiblichen Gesichtern, geschweige denn Körpern, schon dermaßen abgewöhnt, dass ich bei Betreten des Festsaales schier überwältigt war von so viel zur Schau gestellter Weiblichkeit - die Luft schwirrte förmlich vor lauter Haut, Haaren, Farbe, Schminke, Parfum, Klunkern... Ältere Frauen bevorzugen zwar noch traditionelle lange Gewänder, alten Silberschmuck und kunstvoll gewundene bunte Kopftücher, doch die Jugend hat sich weitgehend auf knallenge, wild gemusterte Polyester-Stretch-Kleider und High Heels eingeschworen. Eine dritte Stilrichtung, die sich von den Traditionellen und den Modernen abhebt, hätte Edward Said wohl dem Phänomen „Neo-Orientalismus“ zugeordnet – einige Mädchen und jüngere Frauen sahen nämlich aus wie Pseudo-Araberinnen auf einem österreichischen Faschingsfest: Käppchen mit Schleier, glitzernde Bauchtänzerinnentops und Pumphosen...
Als wir ankamen, saßen die Frauen in dem mafrajaehnlichen Saal und tratschten, vor sich kleine Sackerln mit Wasser, Soft Drinks und ein paar Keksen – was mich, die ich mir ein orientalisch-opulentes Gelage ausgemalt hatte, etwas enttäuschte... Ein paar ältere Frauen kauten Qat; Kinder in kitschigen Kleidchen tobten umher. Über Lautsprecher wurde Live-Musik aus dem Nebenraum übertragen, in den die (männliche) Band zwecks Wahrung der sittlichen Ordnung verbannt worden war.
Nach ein, zwei Stunden wurde die Stimmung etwas lebhafter, und einige Mädchen begannen, zu tanzen. Die Musik war eine Mischung aus traditionellen jemenitischen Liedern und arabischen Hits aus Ägypten und dem Libanon, und so wechselten auch die Tänze zwischen lokalen Schrittfolgen und modernem Bauchtanz.
Von der Braut fehlte indes noch immer jede Spur, und es sollte noch zwei weitere Stunden dauern, bis sie endlich erschien... meine Mitbewohnerin und ich unterhielten uns (und unfreiwillig auch alle anderen Gäste) währenddessen mit dem Versuch, uns auf der Tanzfläche ein paar Moves abzuschauen...

Und dann kam Reem. Sie betrat den Saal durch eine Tür, die direkt auf einen mit weißen Rosen geschmückten Catwalk führte. Ihr weißes, schulterfreies Kleid war über und über mit Straß besetzt und endete in einem weiten Reifrock. Die kunstvoll aufgesteckten Haare waren von einem weißen Schleier bedeckt, an Armen, Decolletée und um die Hüften trug sie schweren Goldschmuck. Wieder war sie stark geschminkt, Hände und Arme waren mit Henna bemalt. Es hatte irgendwie etwas sehr rührendes, wie sie da allein stand in ihrem kitschigen Prinzessinnenkleid, das zu weit war für ihren schmalen Körper, mit den Händen am Schleier nestelte, und schüchtern, aber gleichzeitig stolz in die Menge lächelte...
Die Gaeste begrüßten sie mit lauten Freudenrufen und Gratulationsgesängen, die Jugend (wir inklusive) bildete einen Kreis und tanzte. Reem bewegte sich währenddessen unendlich langsam auf das andere Ende des Catwalks zu, und nach jedem Schritt wurde sie von allen Seiten sicher zehntausendmal photographiert. Einige Frauen, die befürchteten, aus Versehen abgelichtet zu werden, zogen schnell ihre Abbayas an. Später wurde Reem in den Kreis der Mädchen geführt, und alles riß sich um einen Tanz mit ihr. Dann wurde sie, wie zwei Tage vorher, auf einen Thron gesetzt, wo sie sicher eine Stunde lang ausharren mußte. Mir scheint, die anderen Mädchen hatten viel mehr Spass als Reem selbst – ihre Aufgabe bestand weitgehend darin, sich geduldig bestaunen zu lassen.

Als wir schon fast gehen wollten, kam plötzlich Bewegung in den Saal – alle Frauen zogen hastig ihre Abbayas an, verhüllten ihre Haare und ließen ihre Gesichtsschleier über das Make-Up fallen... es war an der Zeit, die Braut in das Haus des Bräutigams zu begleiten.
Hassan und sein ältester Sohn kamen, posierten noch mit Reem für ein paar tausend Erinnerungsphotos, warfen ihr dann auch eine Abbaya um und brachten sie in ein mit Blumen geschmücktes Auto. Auch die restliche Festgesellschaft quetschte sich in Autos, die vor der Halle warteten, und laut hupend fuhr der Konvoi einmal um den Block, bevor man das Haus des Bräutigams erreichte – in diesem Falle war es natürlich nicht wirklich sein Haus, sondern wahrscheinlich das eines Verwandten.
Dort geleiteten die Frauen Reem in den Mafraj, wo sie ihre Abbaya wieder auszog (die anderen Frauen blieben ganz verhüllt).
Die Spannung stieg, während man auf den Bräutigam wartete... tausende Tanten zupften an Reems Kleid herum, zogen ihr den Schleier vors Gesicht und raunten ihr gute Ratschläge, Zusprüche, Ermunterungen zu...
Auf einmal betrat ein sympathisch wirkender junger Mann den Raum. Er trug, wie hierzulande an Feiertagen üblich, eine weisse Galabiya, darueber ein Jackett, seine Jambiya (Krummdolch) steckte in einem bunt bestickten Gürtel. Alles verstummte, als er sich auf seine Braut zubewegte und ihren Schleier hob. Kurz lächelte sich das Paar an, und dann mussten wieder unzählige Photos geschossen werden... der Bräutigam legte dabei unbeholfen den Arm um Reem und versuchte, selbstbewusst in die Kamera zu schauen, waehrend sie stocksteif und mit grossen Augen danebenstand...
Dann war es an der Zeit, das Paar alleine zu lassen.

Ich ging an diesem Abend mit gemischten Gefühlen nach Hause. Einerseits war ich erleichtert, dass der Bräutigam so nett gewirkt hatte. Aber was heißt das schon? In ein paar Wochen reist Reem dann endgültig mit ihm nach Saudi-Arabien ab. Sie läßt eine Schwester zurück, die jetzt alleine die Zeit im Keller totschlagen muß, und hat selbst eine Reise ins Ungewisse vor sich. Ich hoffe sehr, dass die beiden sich halbwegs vestehen und dass das dortige Netzwerk an verwandten und benachbarten Frauen Reem auffangen wird. Denn in einer Gesellschaft wie der hiesigen, wo die Geschlechtersegregation so stark ist, kommt es, wie mir scheint, mehr auf die Solidarität unter den Frauen an als auf eine glückliche Ehe im europäischen Sinn.

P.s. Ich muß noch etwas korrigieren: in „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ habe ich geschrieben, dass die meisten Frauen, die ich getroffen habe, mich nicht um meine Freiheiten beneiden und mit dem hiesigen Lebensmodell zufrieden scheinen. Inzwischen bin ich aber vielen Frauen begegnet, die sich sehr kritisch zu den hiesigen Traditionen äußern. Vor Allem jüngere und gebildetere Frauen wünschen sich mehr Selbstbestimmung und gesellschaftliche Mitsprache. Manche bitten mich sogar, ihnen einen österreichischen Ehemann zu vermitteln... Das heißt aber nicht, dass diese Frauen das westliche Lebensmodell unkritisch übernehmen wollen, sondern vielmehr, dass sie einen islamischen, jemenitischen Weg der Emanzipation suchen.

Mittwoch, 24. Oktober 2007

Äthiopien

Kennt ihr das, wenn man von einer Reise zurückkommt und das Gefühl hat, die Seele noch irgendwo auf halbem Weg zurückgelassen zu haben...? So geht es mir gerade. Ich kann's noch gar nicht glauben, dass ich wirklich in Äthiopien war!
Mit ein Grund für meinen derzeitigen Zustand fröhlicher Verwirrung war sicher auch die völlige Ungeplantheit dieser Reise. Alles, was ich wusste, bevor ich letzten Freitag ins Flugzeug stieg, war, dass ich drei Tage später zwei deutsche Freunde aus Sana'a in Axum treffen würde. Doch zwischen Addis Ababa und Axum lagen 1400 km miserabler Straßen und viele Fragezeichen...

Samstag früh saß ich dann schon in einem der staatlichen Überlandbusse – leider in der allerletzten Reihe, weil ich nicht wusste, dass man sich die besseren Plätze Stunden vorher reservieren muss...
Gespannt und etwas reisefiebrig sah ich der dreitägige Fahrt durch ein Land entgegen, von dem ich herzlich wenig Ahnung hatte, und das in letzter Zeit nicht gerade gute Presse bekommen hat – bei Äthiopien denkt man zuerst einmal an Hungesnöte und bittere Armut.

Entsprechend überrascht war ich, als wir die Vorstädte von Addis hinter uns gelassen hatten: die Regenzeit hatte die sonst so karge, trockene Natur in ein Bild des scheinbaren Überflusses verwandelt; die Felder standen im Korn, die Wiesen waren so saftig-grün wie auf heimischen Almen, und Hirten, die mit ihren hohen Turbänen, weißen Umhängen und eleganten Gehstöcken eher wie archaische Könige aussahen, trieben langhörnige Rinder vor sich her...
Doch diese Pracht hält nur kurz an, bald wird der Boden wieder staubtrocken sein.

Aber ich hatte nicht nur Glück mit der Jahreszeit, sondern auch mit meinen Sitznachbarn, Soldaten auf dem Weg zur Grenze nach Eritrea. Sie sprachen zwar kaum Englisch, fühlten sich aber gleich für mich verantwortlich, organisierten mir abends eine Unterkunft, brachten mir die hohe Kunst des Injera-Essens bei (das äthiopische Nationalgericht, ein säuerlicher Fladen, mit dem man verschiedene Soßen auftunkt) und steckten mir pausenlos Proviant zu.
Das mit dem Proviant war überhaupt faszinierend: alles wurde geteilt, und so selbstverständlich wie man anbot, nahm man die Speisen der anderen auch an. Keinem wäre eingefallen, nur zwei Bananen am Straßenrand zu kaufen, nein, man kaufte gleich zehn und verteilte sie unter den Nachbarn.
Der Busfahrer unterhielt indes seine Passagiere hie und da mit kleinen Showeinlagen, indem er Witze ins Mikrofon brüllte und den nächsten Song ankündigte, was zu kollektiven Ausbrüchen von Heiterkeit führte... Auch meine Kamera und mein Reiseführer erfreuten sich unter den Fahrgästen großer Beliebtheit. Jeder wollte ein paar Photos schießen und die Karte seiner Heimatstadt oder -region studieren, und so brauchten wir nicht viele Worte, um uns blendend zu verstehen.

Drei Tage und dreißig holprige Fahrstunden später kam ich verstaubt, verschwitzt und erschöpft in Axum an, der ehemaligen Hauptstadt des ältesten Königreiches Äthiopiens. Die historische Bedeutung diese Ortes war mir aber zunächst völlig egal, ich wollte nur duschen... das Hotel, das ich mit meinen Freunden als Treffpunkt ausgemacht hatte, war verglichen mit den Absteigen der letzten Nächte reinster Luxus, und so genoß ich die Ruhe und den köstlichen äthiopischen Kaffee (mit Milchschaumhaube!). Am frühen Abend kamen die beiden, und wir machten große Pläne, was wir uns alles am nächsten Tag anschauen wollten, bevor wir am Mittwoch früh nach Lalibela weiterfliegen würden.
Doch es kam alles anders... am nächsten Morgen erfuhren wir, dass der Flug am Mittwoch schon ausgebucht war, und so blieb uns nichts anderes übrig, als noch am selben Vormittag Axum zu verlassen. Immerhin konnten wir auf dem Weg zum Flughafen noch kurz bei den berühmten Grabstelen stehenbleiben und, wie die japanischen Touristen, schnell ein paar Photos schießen...

Und dann waren wir in Lalibela... so lange schon wollte ich die berühmten Felsenkirchen sehen, und auf einmal stand ich davor!
Der Legende nach hatte König Lalibela im 13. Jahrhundert von Gott im Traum den Auftrag bekommen, ein zweites Jerusalem zu errichten. Wie die Handwerker es fertigbrachten, die Bauten aus dem Fels herauszuschneiden und von innen auszuhöhlen, ist nach wie vor ein Rätsel. Nirgendwo sonst in Äthiopien findet man Spuren derartigen technischen Geschicks und stilistischer Perfektion. Da gibt es keine gemauerten Stellen, keine Ausbesserungen, keinen Makel – die Kirchen sind nahezu perfekt, wenn die Zeit ihnen auch zugesetzt hat.

Am schönsten fand ich das kreuzförmige Bete Gyorgis, das frei in einem tiefen Schacht steht, umgeben von dem Felsen, aus dem es herausgeschnitten wurde. Zeitlos und anmutig steht es da, als wäre es vollendet vom Himmel gefallen.
Innen sind die Kirchen eng und dunkel, die Wände teils mit Wandmalereien bedeckt. Priester in prachtvollen bunten Gewändern zeigen den Besuchern Kreuze und alte Schriften.



Bete Gyorgis

Zwei Tage verbrachten wir in Lalibela und Umgebung. In einem Kloster außerhalb des Ortes war gerade ein Begräbnis in Gange, als wir kamen. Unmengen von Leuten hatten sich vor der Kirche versammelt, die meisten in ärmlicher Kleidung und sichtlich untergewichtig. Die Diskrepanz zwischen diesen klapprigen Gestalten und der sie umgebenden fruchtbaren Natur schien mir unerklärlich. Erst meine Freunde in Addis konnten mir diese chronische Nahrungsknappheit verständlicher machen. 80 Prozent der äthiopischen Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft. Das Land wird unter den Kindern aufgeteilt, und da es derer immer mehr gibt, fallen den Erben immer kleinere Anbauflächen zu. Die Anbaumethoden sind mittelalterlich, die Böden oft schwer bebaubar, und die Erträge daher sehr gering. Hinzu kommen unsichere Niederschläge, die Abgelegenheit vieler Regionen, die nicht an das schwache Straßennetz angebunden sind, steigende Getreidepreise und der mangelnde Wille der Regierung, das drastische Versorgungsproblem in Angriff zu nehmen. In einem anderen Kloster trafen wir ein 18jähriges Mädchen, das wir auf 14 geschätzt hätten, so schmächtig war es – Mangelernährung hatte seine körperliche Entwicklung gehemmt.

In Addis Ababa, unserer nächsten Station, existieren Reichtum und Armut, Fortschritt und Verzweiflung dicht nebeneinander. Die Stadt wächst rasant an, und mit ihr auch das Angebot für die vielen Ausländer und die einheimische Oberschicht: hier gibt es schicke Restaurants, stylishe Nachtclubs, Einkaufszentren und neuerdings sogar einen deutschen Bäcker, bei dem die Kundschaft für Schwarzbrot und Nussschnecken Schlange steht... alles Dinge, von denen man in Sana'a nur träumen kann. Aber auf der anderen Seite sieht man hier aber auch viel Elend: Bettler, Obdachlose, Slums. Ich hatte mich vor dieser Armut gefürchtet, und mich zeitweise auch gefragt, ob es moralisch vertretbar ist, als Touristin in ein Land zu fahren, das seine Bevölkerung kaum ernähren kann. Aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass gerade in Äthiopien ein vernünftiger Tourismus viel Gutes bringen kann.

Ein positives Beispiel dafür ist ein von der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, deutsche Entwicklungsorganisation) ins Leben gerufene Ökotourismusprojekt in einem Nationalpark südlich von Addis. Dorthin fuhr ich mit drei GTZ-Praktikantinnen, um drei Tage lang teils zu Fuß, teils zu Pferde von einer Lehmhütte zur nächsten zu ziehen, immer weiter bergauf, bis wir auf 3600m standen, von Wind und Regen umbraust...

Nach dieser erlebnisreichen Tour verbrachte ich noch ein paar sehr gemütliche Tage bei meinen Freunden in Addis - lesend, schlafend und essend...

Ich sehe gerade, der Bericht ist viel zu lang geworden... deshalb nur noch einmal schnell tausend Dank an Ulli und Albert – ohne Euch wäre diese Reise nie zustande gekommen!

Photos vom Nationalpark kommen noch...

Mittwoch, 3. Oktober 2007

Ramadan karim!

Seit drei Wochen schon steht hierzulande die Welt kopf, und seit drei Wochen schon nehme ich mir vor, diesen Zustand in Worte zu fassen.

Da wäre zunächst der völlig verdrehte Tagesablauf. Vor zwölf Uhr mittags ist kaum jemand auf der Straße, alle Geschäfte haben zu, die Stadt liegt in tiefem Schlummer. Nachmittags geht man halbherzig und hungrig seinen Verpflichtungen nach, doch je näher der Sonnenuntergang rückt, desto hektischer wird die Stimmung. Scharen von Frauen drängen sich beim Bäcker und im Greißler am Eck, die Männer versorgen sich mit Qat. Alle haben es eilig, denn bald darf endlich wieder gegessen werden...
Bei Einbruch der Dunkelheit gibt der Ruf des Muezzins das Startsignal zum Iftar, dem Fastenbrechen. Man beginnt mit einer Dattel – die hierzulande als Paradiesfrucht gilt - und einem Glas Wasser. Dann folgen in Fett ausgebackene Teigtaschen (Sambusas), die den ersten Hunger stillen sollen, bis nach dem Abendgebet das Festmahl mit traditionellen Ramadanspeisen beginnt. Freunde und Verwandte besuchen sich gegenseitig und essen gemeinsam.

So still es zur Zeit untertags ist, so lebendig ist es nachts – da wird gearbeitet, gefeiert, gefeilscht und gelärmt. Kinder spielen bis lange nach Mitternacht auf den Strassen, werfen Knaller und entzünden kleine Feuer. Sogar Frauen sind zuhauf zu sehen, vor Allem auf den Märkten und Einkaufsstraßen – denn nach Ramadan kommt der Eid, anlaesslich dessen man sich von Kopf bis Fuß neu einkleidet. Reminiszenzen an die Mariahilfer Straße am vierten Adventssonntag werden wach...
Viele Jemeniten bleiben bis zum ersten Gebet kurz vor Sonnenaufgang wach, frühstücken noch einmal, und legen sich dann ins Bett, wo sie bis mittags oder gar länger bleiben – was den großen Vorteil hat, dass die Zeit des Fastens um etliche Stunden verkürzt wird...
Andere arbeiten wiederum, obwohl sie den ganzen Tag weder essen noch trinken, ganz normal, was ich maßlos bewundere. Die Erschöpfung steht diesen tapferen Helden aber ins Gesicht geschrieben... mein Arabischlehrer bekam beim Deklinieren des Verbs „essen“ einen so sehnsüchtigen Blick, dass ich vor Mitleid verging, und neulich im Taxi sah ich im Rückspiegel, wie die Augen des Fahrers immer kleiner und kleiner wurden, was mich auf einmal zu ungeahnter Gesprächigkeit im Arabischen befähigte... ist diese Sprache also doch zu etwas gut!

Die allgemeine Stimmung wird mit Fortschreiten des Ramadan spürbar gereizter, die Menschen wirken - vor Allem gegen Ende des Tages - unausgeglichen. Im Strassenverkehr wird mehr gebruellt, NOCH mehr gehupt als sowieso immer schon, und laut Zeitung häufen sich auch die Unfälle. Vor ein paar Tagen stand plötzlich ein Militärlaster genau vor unserer Tür, inklusive acht Soldaten mitsamt Kalashnikovs auf der Ladefläche... als ich Hassan, unseren Hausverwalter, danach fragte, zuckte er nur mit den Schultern und meinte „Es ist Ramadan!“. Inzwischen haben sich diese neuen Nachbarn schon gut ins Straßenbild eingefügt und grüßen mich freundlich... Meine Mitbewohnerin beschwert sich in letzter Zeit öfter ueber unverschämte Männer - ein Problem, das hier ansonsten, verglichen z. B. mit Rom, kaum ein Thema ist.
Kurzum, alle spielen ein bisschen verrückt...

Aber der Ramadan hat durchaus auch seine guten Seiten. So versorgen uns Hassans Töchter fast täglich mit frischen Sambusas, am Vormittag ist es herrlich still, und die Arbeit im Ministerium beginnt erst um 10 Uhr. Ich habe in den letzten Wochen aber sowieso nachts gearbeitet, unsere Workshops in der Hauptstadt waren eine eher zaache G'schicht, viele Organisationen haben im letzten Moment abgesagt oder sind einfach gar nicht gekommen, die Arbeitsmoral meiner Studenten war im Keller, und meine ebenso.

Deswegen, und weil wir ueber Eid einige Tage frei haben, UND weil ich mir damit einen Traum erfülle, hab ich kurzerhand beschlossen, für zwei Wochen nach Äthiopien zu fliegen! Am Freitag geht es los, ich bin schon furchtbar gespannt. Der nächste Bericht wird dementsprechend anders ausfallen...

Und weil's so schön war vorletzte Woche im Haraz-Gebirge, hier ein paar Photos.
Zuletzt noch ein shout out an Soldier Women, Lucky und Uchti – war grandios mit euch!!!

Leni



Samstag, 8. September 2007

Auf und ab

Liebe Leute,

zwei Wochen sind vergangen, und wir tuckern immer noch quer durchs Land. Langsam hab ich genug von billigen Hotels, in denen fleckige Teppichboeden und fremde Haare im Bett zur Standardausstattung gehoeren, und das immergleiche Essen (Fruehstueck Kaesesandwich, Mittag Hendl mit Reis, Abend Bohnen) kann ich auch nicht mehr sehn...
Unsere gestrige Fahrt hat mich aber wieder fuer einiges entschaedigt. Ausgangspunkt war die Kleinstadt Mahweet, die auf zirka 2000 Hoehenmetern ueber steilen Abgruenden thront, umringt von schroffen, zur Zeit gruen bewachsenen Gipfeln, ueber denen die Adler kreisen...
Auf einer abenteuerlich eng gewundenen Strasse geht es bergab, bergab, bergab, vorbei an Kaffeeplantagen, die in Terrassen angelegt sind, um den Steilhaengen das Maximum an urbarem Boden abzuringen, Hirten mit ihren Ziegen- und Schafherden, die ausschauen, als waeren sie gerade einer Bibelillustration ensprungen, und winzigen Doerfern, deren Steinbauten sich kaum von der felsigen Umgebung abheben.
Zwei Stunden spaeter sind wir auf null angelangt, und die Landschaft aendert sich drastisch: eine voellig flache, sandige Steppe, die Tihama, erstreckt sich bis ans rote Meer. Palmenhaine, strohgedeckte Lehmhuetten, Kamelherden – diese Region wird auch „der afrikanische Jemen“ genannt. Mit abnehmenden Hoehenmetern steigen die Temperaturen wieder gefaehrlich gen 50; vorbei ist’s mit der frischen, klaren Bergluft, die ich noch nie so genossen hatte wie nach den drei Tagen in Al Hodeida, wo saunaaehnliche klimatische Bedingungen herrschen. Hierzulande wuensche ich mir manchmal echt, als Wechselbluetler geboren zu sein...

Ein Wort noch zu Al Hodeida – diese Hafenstadt am roten Meer war bis jetzt der einzige Ort, an dem ich mich gar nicht wohl gefuehlt habe. Es mag daran liegen, dass ich nach monatelangem Herumreisen inzwischen schon ziemlich ausgelaugt bin; was mich aber besonders getroffen hat, war die unglaubliche Armut dieser Stadt. Waehrend an der Adener Uferpromenade abends Familien flanieren und in Al Mukalla Gruppen von Maennern bei Qat und Wasserpfeife Karten spielen, schlagen in Al Hodeida unzaehlige Obdachlose ihr Lager an dem rattenverseuchten Ufer auf.

Ueberhaupt ist mir auf dieser dritten Reise die Armut des Jemen staerker bewusst geworden. Es war wohl eine Art psychischer Schutzmechanismus, der mich anfangs vor allem das Schoene und Gute dieses Landes hat sehen lassen, waehrend die vielen unueberwindbar scheinenden Probleme einfach nicht bis in mein Herz durchgesickert sind. Doch ploetzlich wurden mir die vielen erschuetternden Bilder zuviel – der hoechstens sechsjaehrige Bub, der in Taiz den ganzen Tag lang die Strasse kehrt, die ausgemergelten Gesichter der Bettler, die allerorts an unsere Autofenster klopfen, die Hoffnungslosigkeit in einem kleinen Dorf, wo uns alle Einwohner, alt und jung, Mann und Frau, um etwas Geld baten.
Wie soll man inmitten dieser Realitaet leben, ohne voellig zu verzweifeln? Auf der Suche nach einer Strategie nehme ich mir meine jemenitischen Kollegen zum Vorbild, die zweierlei auf bewundernswerte Weise kombinieren: Grosszuegigkeit und Gottvertrauen.

Auf unserer Reise ging es bald wieder bergauf, tapfer erklommen unsere Jeeps die Berge und brachten uns sicher nach Hajja. Leider spricht nichts dafuer, dass es in der Entwicklung des Jemen ebenso steil bergauf geht, im Gegenteil...

Ich hoffe, euch geht’s allen gut, wo auch immer ihr steckt und was auch immer ihr tut, ob ihr an einem der vielen Enden der Welt das Abenteuer sucht oder in heimatlichen Gefilden chillt, ein Eis nach dem anderen verschlingt oder ein Dokument nach dem anderen kopiert, ob ihr in glasklare Fluten oder in die schnelle Welt der New Economy eintaucht...

Dienstag, 21. August 2007

Hallo...

inzwischen bin ich von meiner 2. Reise zurueckgekommen, die mich quer durch die Wüste ans Meer und weiter gen Osten bis knapp an die Grenze zum Oman geführt hat.
Erste Station war das Wadi Hadramaut. Ich durfte nicht auf dem Landweg hinreisen, weil die Provinz Marib seit dem Bombenanschlag vor 2 Monaten für Ausländer gesperrt ist. Auch den jemenitischen Maedchen wurden Flugtickets spendiert, da ihre Eltern sich weigerten, sie durch diese verrufene Gegend fahren zu lassen. Zunächst tat es mir leid um die schöne Strecke, doch als das restliche Team von nächtlichen Schießereien vor dem Hotel erzählte, war ich heilfroh, nicht dabei gewesen zu sein – scheinbar hatten Stammesmitglieder das Feuer auf die dortige Polizeistation eröffnet, um die Hinrichtung vierer angeblich für den Anschlag verantwortlicher Verwandter zu rächen.

Hadramaut - schon um den Namen dieses Wüstentales ranken sich zahllose Legenden. „Maut“ ist das arabische Wort für tot (siehe schachmatt = shah maut = der König ist tot), und so könnte die Uebersetzung „Stätte des Todes“ lauten... Wahrscheinlicher ist aber der Ursprung des Wortes bei Hazarmawet, dem Stammvater der Hadramis, zu suchen, der selbst in sechster Linie von Noah abstammt (dieser soll übrigens arabischen Überlieferungen zufolge seine Arche unweit des heutigen Aden erbaut haben).
Wueste, durchbrochen von imposanten Tafelbergen. Die hiesige Archtektur mutet erstaunlich modern an – die wuerfelformigen, wohlproportioniert schlichten Lehmhaeuser koennten fast in der Bauhauszeit enstanden sein. Ihre Groesse verraet die ehemalige Bedeutung der Region als Handelszentrum, deren Bewohner von Asien bis Afrika Geschaefte mit wertvollem Weihrauch machten.
Berühmteste Stadt im Wadi Hadramaut ist Shibam, das auch das „Chicago der Wüste“ genannt wird – hier stehen die wohl ältesten Hochhäuser der Welt. Die bis zu 8 Stockwerke hohen Lehmbauten sind wirklich atemberaubend schön.





Highlight in Hadramaut war aber auf jeden Fall der Besuch meiner abenteuerlustigen Eltern, die keine Strapazen scheuten, um sich mit eigenen Augen davon zu ueberzeugen, dass ich in diesem verrueckten Land wohlauf bin... Tapfer machten wir in der sengenden Hitze Ausflüge zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten, wurden in Sufi-“Klöstern“ freundlich aufgenommen und mehr oder weniger subtil zu bekehren versucht, aßen köstliche Datteln und chillten zwischendurch am Pool des wunderschoenen Hotels...

Nach ein paar Tagen trauter Dreisamkeit sind die Eltern wieder nach Sana’a zurueckgeflogen, waehrend mein Team und ich nach Al Mukalla aufbrachen, einer alten Hafenstadt mit weissgetuenchten Hausern, Fischerbooten und starkem indischen Einfluss, der sich in Kleidung und Aussehen ihrer Bewohner, den allgegenwaertigen Raeucherstaebchen und der lokalen Kueche bemerkbar macht. Leider konnte ich die Stadt wenig geniessen, weil ich mit internen Krisen im Team zu kaempfen hatte...

Nach zwei Tagen intensiver Arbeit und Mediation ging’s weiter nach Al-Mahra, der oestlichsten Provinz des Jemen. Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit sind die Beziehungen zum restlichen Land schwach, stark ist hingegen die Bindung an den benachbarten Oman. Hoehere Loehne locken viele Maenner zum Arbeiten ueber die Grenze, was zur Folge hat, dass die zurueckgebliebenen Frauen eigenstaendiger und selbstbewusster sind als in den meisten anderen Regionen. Auch die Jugendorganisationen, die wir dort trafen, waren fast ausschliesslich von Frauen geleitet.
An unserem freien Tag machten wir einen tollen Ausflug in ein Naturschutzgebiet an der Grenze. Eine Strasse windet sich am Ufer entlang, rechts tost das Meer, links ragen ueppig bewachsene Berge in den Himmel... was fuer ein Kontrast zur kargen Wueste, die ganz in der Naehe beginnt!


Voller Eindruecke und eher erschoepft bin ich nach Sana’a zurueckgekommen und habe hier zwei Tage Pause, bevor wir wieder weiterziehen... langsam freu ich mich schon auf den Ramadan, wo hier alles seeeehr langsam zugehen soll...

Montag, 20. August 2007

Liebesg’schichten und Heiratssachen

Neulich gab es in unserer Strasse eine Hochzeit, und ich war vom Balkon aus live dabei! In den vorhergehenden Tagen wurde ein Teil der Strasse kurzerhand fuer den Verkehr gesperrt, und 2 grosse Zelte wuchsen in Windeseile aus dem Boden: eines fuer die Frauen, eines fuer die Maenner. Von der Frauenparty kann ich euch leider nichts berichten, da diese durch dicht verschlossene Zeltplanen vor Zaungaesten wie mir abgeschirmt wurde - einzig die hohen, schrillen Freudenrufe waren zu hoeren...
Die Maenner hingegen feierten mitten auf der Strasse. Begleitet von Trommeln, Dudelsack und Gesang, bewegten sie sich stundenlang nach genauen Schrittfolgen im Kreis und schwangen ihre Jambiyas (Krummdolche) ueber den Koepfen.
Der Spuk dauerte 3 Tage und 3 Naechte, was der Nachbarschaft ein in Europa undenkbar hohes Mass an Geduld und Toleranz abverlangte. Aber hier scheint das keinen zu stoeren. Zur Zeit haeufen sich die Hochzeiten, weil im September der Ramadan beginnt, waehrend dem keine Feste gefeiert werden.

Unlaengst war ich eine gleichaltrige Freundin besuchen, die den Namen der Koenigin von Saba traegt: Bilqis. Sie hat vor einem Monat ihren 2jaehrigen Englischkurs abgeschlossen, und letzte Woche hat sie per Telephon erfahren, dass sie 5 Tage spaeter verheiratet werden soll! Urspruenglich war an diesem Tag die Hochzeit ihrer aelteren Schwester angesetzt, doch Bilqis’ Vater hat kurzfristig beschlossen, sie gleich auch zu verheiraten (immerhin kriegt sie einen eigenen Mann...). Der Zukuenftige ist, wie es im Jemen ueblich ist, ein entfernter Cousin. Bilqis hat ihn zum letzten Mal gesehen, als sie beide kleine Kinder waren, und kann sich gar nicht mehr an die Begegnung erinnern. Auf die Frage hin, ob sie sich auf die Hochzeit freut, meinte sie, sie fuerchte sich eher. Ganz ploetzlich wird sie aus ihrem gewohnten Umfeld, der Grossfamilie mit den vier Schwestern, der Mutter und den vielen kleinen Neffen und Nichten herausgerissen und muss nun ihr Leben mit jemandem teilen, den sie praktisch ueberhaupt nicht kennt.

Wir hatten schon vor ein paar Monaten eine Diskussion zum Thema Heirat. Bilqis erklaerte mir damals, es sei selbstverstaendlich und auch richtig, dass man seinen zukuenftigen Ehemann nicht vorher kennt, geschweige denn ihn selbst aussucht. Dies sei Aufgabe der Eltern, die eine bessere Wahl treffen wuerden, weil sie sich nicht von Oberflaechlichkeiten und Verliebtheiten beeinflussen lassen. Ausserdem, meinte Bilqis und warf einen Blick auf den Nachbartisch, wo eine ihrer Freundinnen gerade mit einem jungen Mann flirtete, den sie als ihren „Boyfriend“ vorgestellt hatte, respektiere ein Mann nur eine Frau, die sich nicht vor der Heirat mit ihm treffe, mit ihm spreche oder gar eine Art Beziehung mit ihm eingehe.
In einem anderen Gespraech erklaerte mir ein 24jaehriger, ebenfalls Angehoeriger der bildungsnahen Oberschicht, dass er im naechsten Monat heiraten werde; seine Eltern haben die Braut bereits ausgesucht. Er weiss nur, wie sie heisst und wie alt sie ist. Dennoch wuenscht er sich nichts mehr, als zu heiraten, um sein ganzes Leben mit seiner Frau zu teilen, fuer sie zu sorgen und mit ihr gemeinsam eine Familie zu gruenden. Wie kann man denn alles mit jemandem teilen wollen, den man sich nicht ausgesucht hat???
Scheidungen sind im Jemen fuer Maenner ein leichtes, und nicht mit sozialer Aechtung verbunden; Frauen hingegen brauchen triftige Gruende und das Einverstaendnis des Ehemannes, um sich von diesem zu trennen. Auch die Vielehe ist hier ein Thema. Einer meiner Kollegen zum Beispiel heiratete als junger Mann das Maedchen, das seine Eltern fuer ihn ausgesucht hatten, und verliebte sich einige Jahre spaeter in eine Frau, die er in Sana’a kennenlernte. Seitdem hat er 2 Frauen und ungefaehr 8 Kinder (sie halten nie still, deswegen ist es mir noch nicht gelungen, sie zu zaehlen...). Arme Erstfrau, wuerde ich sagen, doch auch da gibt es verschiedene Meinungen: viele Frauen begruessen eine Zweitfrau einerseits als zusaetzliche Haushaltshilfe, andererseits als Freundin und Verbuendete (sofern sich die beiden verstehen).
`A propos verschiedene Meinungen: waehrend wir in Europa die armen, unterdrueckten Musliminnen pauschal bemitleiden, tue ich den hiesigen Frauen mindestens genauso leid, weil ich weder Mann noch Kinder habe, arbeiten gehen „muss“ und die schweren Wasserkanister allein die Stiegen hinaufschleppe... und so wie ich heilfroh bin, mein Leben zu haben und nicht das einer Jemenitin, wuerden auch die meisten Jemenitinnen nicht mit mir tauschen wollen.

Dienstag, 7. August 2007

Sonntag, 5. August 2007


Ich lebe noch!

Nachdem dieser Blog, kaum eroeffnet, schon dem Verfall preisgegeben wurde, starte ich hiermit einen Revitalisierungsversuch. Sollte es noch Menschen geben, die ab und zu hereinschauen, sollen sie wissen, dass ich noch lebe und dabei bin, Staub und Spinnen ihr Territorium wieder abzukaempfen...

Seit einer Woche bin ich mit meinem Team – 7 Studenten, die ich zu Forschern hochgezuechtet habe, meinem Mentor Dr. Bin Afif, dem Computerprofi Abdul Rahman, der sich ganz nebenbei um alles andere kuemmert, 2 Fahrern mitsamt Jeeps – auf Tour durch den Sueden des Landes. Falls jemand einen Atlas bei der Hand hat: unsere Stationen sind Ad-Daleh, Aden, Lahj, Abyan, Mukalla, Al-Mahra, Seiyun und Marib (wohin ich nicht mitfahren darf, da die Provinz seit dem Bombenanschlag vor einem Monat fuer Auslaender gesperrt ist).
Die Tage sind sehr dicht, jeden Tag kommen ca. 6-8 Jugendorganisationen zu unseren Workshops. Die originellste bis jetzt war wohl die "Dove Racing Association", die in der Taubenzucht zwecks Veranstaltung von Wettfluegen eine sinnvolle Strategie erkennt, um Jugendliche von Qat und Kriminalität abzuhalten....
Ich bin fuer die Aufnahme und Analyse der Informationen verantwortlich, und sitze oft bis spaetabends vorm Computer. Hier in Aden allerdings in wunderschoener Umgebung: jeden Abend fahren wir an den Strand. Die Burschen kauen Qat, der sie zu vorgerueckter Stunde dazu inspiriert, arabische Liebesschnulzen zu traellern, und wir Maedchen machen lange Spaziergaenge. Eine unserer Studentinnen ist Sprint-Nationalmeisterin und hat mich gestern sogar zum Joggen animiert... war eine sehr unwirkliche Situation, zwei Gestalten in bodenlangen schwarzen Abbajas, die bei Vollmond den Strand entlanglaufen...

Aden, die vormalige Haupstadt des kommunistischen Südjemen, ist vor allem eines – heiss. Hinzu kommt eine erdrueckend hohe Luftfeuchtigkeit, die einem die Kleider am Leib festklebt und einem das Gefuehl gibt, man sei nicht nur physisch, sondern auch geistig von einem dichten Dunstschleier umnebelt... diese Umstaende haben dazu gefuehrt, dass nun auch ich der vormals verachteten Air Condition einigen Respekt entgegenbringe.

Aden liegt im Krater eines erloschenen Vulkans, der heute eine Halbinsel bildet. Die Alstadt ist von allen Seiten von Lavawaenden eingeschlossen, die sie vor feindlichen Angreifern schuetzten. Das Strassenbild ist gepraegt von kleinen Geschaeften und fliegenden Haendlern, den ueblichen Frauen in Schwarz, Maennern, die in Gruppen am Boden sitzen und Qat kauen, und auffallend vielen Bettlern, die auf Stiegen, in Hauseingaengen und auf Plaetzen ihr Lager aufgeschlagen haben. Viele von ihnen sind Fluechtlingen aus Somalia und anderen nahen afrikanischen Laendern, aber Aden scheint auch ein Sammelbecken fuer gestrandete Jemeniten zu sein. Am schlimmsten trifft es Frauen, die gegen die hier herrschenden strengen sozialen Normen verstossen haben und dadurch den Rueckhalt ihrer Familie verloren haben. Wer im Jemen keine Familie hat, ist ein Nichts. Nur ueber die Familie besitzt ein Mensch hier Identitaet, Achtung und Schutz.
Leider muss ich los, drum ein abrupter Schluss... hoffe, euch bald mehr erzaehlen zu koennen!

Alles Liebe,
Leni

Aden

28. Juli 2007 Burqa-Shopping

Nachdem ich die nächsten 2 Wochen mit meinem Team quer durchs Land fahren werde, habe ich beschlossen, mir nun endlich so ein langes schwarzes Ding zu kaufen; zum einen, damit ich nicht jeden Tag überlegen muss, was ich anziehe, und ob eh alles schön bedeckt ist, zum anderen, weil ich ja wenigstens versuchen kann, unauffällig zu bleiben (gelingt mir eh nicht).
Nun bin ich also losmarschiert und dachte, binnen kürzester Zeit fündig zu werden. Schließlich wimmelt es in Sana'a von Geschäften, die Abbajas (schwarze Übermäntel) mitsamt dazugehöriger Hijabs (Kopftücher) und Burqas (Gesichtsschleier) verkaufen.

Denkste Puppe! Auf einmal fand ich mich inmitten der Modesorgen jemenitscher Frauen wieder und musste mir über Fragen den Kopf zerbrechen, die sich mir bei H&M noch nie gestellt hatten...
Das erste Problem war mir allerdings aus Europa relativ geläufig: die Länge. Da die Jemenitinnen im Schnitt zwei bis drei Köpfe kleiner sind als ich, war es zunächst nicht einfach, eine Abbaja zu finden, die mir bis zu den Knöcheln reicht – alles andere wäre natürlich unkeusch und verwerflich...

Auch die Frage der Stoffwahl ist – zumal auf Arabisch - nicht leicht zu klären. Sämtliche Abbajas sind natürlich als Polyester, Baumwolle gilt hierzulande als altmodisch und das Tragen desselben wird als schwerer stilistischer Faux-Pas gewertet (welchen ich übrigens laufend begehe).
Doch – höret und staunet - Polyester ist nicht gleich Polyester, und daher gibt es Stoffe für alle Jahreszeiten und Regionen. Da ich auch nach Aden fahre, wo es zur Zeit 50 Grad in Schatten hat und die Luftfeuchtigkeit 80 Prozent beträgt, kommen für mich nur die leichtesten Stoffe in Frage. Auch diesen traue ich übrigens durchaus die Fähigkeit zu, mich in Schweiß zu baden und dem Hitzetod gefährlich nahe zu bringen...

Dritte Schwierigkeit: „al Design“ ( ein im Zuge der langwierigen Verhandlungen mit dem Verkäufer entstandener Neologismus, Zeugnis meiner erfinderisch machenden Vokabel-Not). Beim Kauf eines rein schwarzen, sackähnlichen Gewandes die Qual der Wahl zu haben - damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Doch vor meinen erstaunten Augen zog der Verkäufer Unmengen an Abbajas aus den Regalen, die für das geschulte Auge lauter kleine, feine Unterschiede aufwiesen: Stickereien, Pailetten, Borten, Schnitte – aus so wenig so viel Verschiedenes zu machen: das nenne ich Minimalismus!

Aus begründetem Anlass mögen meine verehrten Leserinnen und Leser mir einen kurzen Exkurs zum Thema „Frauenmode im Jemen“ erlauben. Wer sich durch diesen überfordert fühlt, möge den folgenden Absatz überspringen, mir aber wenigstens eine einfältige Nachricht hinterlassen.

Wie alle Kleidungsstücke ist auch die Abbaja ständig wechselnden Modetrends unterworfen, und auch die Tatsache, dass sie heutzutage unter den Jemenitinnen so beliebt ist, kann als Modeerscheinung gedeutet werden. Ursprünglich nur den Frauen der Oberschicht vorbehalten, breitete sich das schwarze Obergewand in den letzten Jahrzehnten rasch aus. Dies kann auf zunehmenden saudi-arabischen Einfluss ebenso zurückzuführen sein wie auf die Tatsache, dass die Abbaja von jeher Reichtum und Prestige symbolisierte, wodurch sie auch für Frauen der Unterschicht attraktiv wurde. Ein anderer Erklärungsansatz besagt, dass die Abbaja es Frauen ermöglicht, in der Öffentlichkeit präsenter zu sein, und trotzdem als ehrenhafte Musliminnen respektiert zu werden. Dies ist vor Allem für die wachsende Zahl arbeitender Frauen von Vorteil.

Meist lässt sich schnell erkennen, ob die Abbaja aus Überzeugung getragen wird, und daher so bescheiden und unauffällig wie möglich ausfällt, oder ob auf subtile Weise versucht wird, die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen auszureizen. Oft lassen sich auch interessante Kontraste zwischen Schuhen und Obergewand beobachten; so stolzierte unlängst ein Fräulein an mir vorbei, von dem man nichts als die Augen und die Füße sah – diese steckten jedoch in goldenen Glitzerstilettos... in Sachen Sexappeal hätte sie es locker mit jeder halbnackte Videocliptänzerin aufgenommen. Unter den Abbajas von Teenagern lugen meist Jeans und Sneakers hervor; vor Kurzem blitzten mir sogar knall-neongrüne Socken entgegen.
Wer in Europa glaubt, Frauen des Handtaschenfetischismus bezichtigen zu müssen, soll erst einmal zwecks vergleichender Studien nach Sana'a kommen: hier ist die Handtasche sozusagen das modische Aushängeschild der Frau von Welt, kann sie doch, im Gegensatz zum restlichen Outfit, beliebig bunt, originell und luxuriös ausfallen. Doch spricht man im jemenitischen Kontext besser von Handtaschen im Plural, denn die fehlende Abwechslung in der Kleidung wird dadurch kompensiert, dass sich dessen Zahl – je nach finanziellen Möglichkeiten und Modebewusstsein – dramatisch gegen unendlich bewegt.

Soviel zum Exkurs. Wieder was gelernt. Aber sicher brennt ihr alle darauf, endlich zu erfahren, wie mein spannendes Shopping-Erlebnis ausgegangen ist...
Von der Vielfalt und Komplexität dieses Bekleidungsobjektes abgeschreckt und zutiefst verwirrt, bin ich mit leeren Händen nach Hause gekommen und muss wohl morgen wieder in meinem nicht minder unförmigen Hippie-Baumwoll-Outfit durch die Straßen von Sana'a irren... aber morgen ist auch noch ein Tag. Sobald ich fündig geworden bin, poste ich hier ein Photo, damit ihr mich gebührend auslachen könnt!

Alles Liebe,
Leni


P.s.: Inzwischen bin ich stolze Besitzerin zweier Abbayas, und habe sie auch schon einige Male ausgefuehrt. Wieder Erwarten sind die Dinger ziemlich angenehm.




Abbaya in Action auf einem Workshop in Zinjibar (miserables Photo)...

Dienstag, 26. Juni 2007

Altstadt von Sana'a

Salaam ya Shabab,

wie geht es euch allen in Wien und anderswo? Jetzt hab ich also doch einen Blog... bin zwar immer noch skeptisch, aber so ein Ding hat schon einige Vorteile, z.B. muss ich euch nicht mit Massenmails auf die Nerven gehen. Bitte erwartet euch keine regelmäßigen Einträge oder unzählige umwerfende Photos – ich werd einfach ab und zu ein Lebenszeichen von mir geben, und freu mich, wenn ich welche zurückkrieg!

Voilà ein erster Lagebericht, ist schon ein paar Tage alt, aber...

Sitze gerade in meinem funkelnagelneuen Mafraj – das ist die hiesige Version des Salons, und besteht aus Matratzen mit Rücken- und Armlehnen, die um die Wand herum auf den Boden gelegt werden. Zentrales Happening in einem Mafraj ist die Qat-Runde: jeden Nachmittag treffen sich die Jemeniten und Jemenitinnen – selbstverständlich in verschiedenen Häusern - um stundenlang beieinander zu sitzen und die leicht berauschenden Blätter des Qat-Baumes zu kauen, mit dem hierzulande inzwischen der Grossteil des urbaren Bodens bepflanzt ist. „Nebenbei“ werden Geschäfte und Politik gemacht, Neuigkeiten ausgetauscht, Ehen vermittelt (Mütter begutachten die heiratsfähigen Mädchen im Verwandten- und Bekanntenkreis, um Frauen für ihre Söhne zu finden) und Dispute geschlichtet.

Qatrunde beim Provinzgouverneur. Zu fortgeschrittener Stunde wird zu Oud, Gesang und Trommel getanzt. Man beachte die prall mit Qat gefüllten rechten Wangen...

Aber zurück in meinen von Ritualen dieser Art bisher unberührten Marfaj...von einem riesigen Plakat auf der gegenüberliegenden Hauswand blickt Präsident Ali Abdallah Saleh gestrenge durch mein Fenster. Um eventuelle Restzweifel darüber, wer in diesem Land das Sagen hat, von vorneherein auszuschliessen, hängen genau darunter noch 14 kleinere Poster mit seinem Konterfei.

Wenn ich meine Strasse, Sharia Djibouti, entlang bis an ihr Ende schaue, thront dort ein immenses Gebäude, das in der Nacht ob seiner Beleuchtung an ein Kernkraftwerk oder die Raffinerien am Weg nach Schwechat erinnert. Tatsächlich handelt es sich aber um die „Moschee des guten Präsidenten“, die selbiger zur Ehre Allahs und wohl auch ein bisschen zu seiner eigenen erbauen lässt. Man munkelt, es gäbe einen unterirdischen Gang, der von der massiv überwachten, weitläufig abgeschirmten Residenz Salehs in die Moschee führt...

Aber ich schweife schon wieder ab. Die klügeren unter euch haben meinen wirren Erzählungen entnommen, dass ich inzwischen eine eigene Wohnung hab! Ich teile sie mir mit 2 deutschen Mädels, einer Wassertechnikerin und einer Praktikantin beim deutschen Kulturforum. Dank der Vermittlung eines jemenitischen Kollegen zahlen wir einen Spottpreis, die Wohnung ist groß und hell und war völlig leer, als wir kamen. Inzwischen haben wir schon einiges Zeug akkumuliert.
Zu den Highlights gehört mein koreanischer Kleiderkasten, dessen einsprachige Bauanleitung inklusive obskurer Miniaturzeichnungen, die zwar durchaus einen gewissen künstlerischen Wert besitzen, für Angehörige des westlichen Kulturkreises aber kaum entschlüsselbar sind, mich in den Wahnsinn treibt. Seit Tagen kämpfe ich mit den aus zigtausend Einzelteilen bestehenden Eisenstangen, einer Fülle an Schrauben und Muttern in allen Größen und einer wild gepunkteten Hülle aus Nachtzugbettwäschematerial.
Ausserdem bescherte mir die neue Wohnung zunächst schlaflose Nächte, die von ungewohnten Geräuschen durchsetzt waren: permanentes Hupen, hierzulande das A und O im Strassenverkehr, lebhaftes Geschwätz und Tellerklappern aus den benachbarten Suppenküchen, ab 5 Uhr früh das Klopfen des Brotteiges beim Bäcker gegenüber – wirklich, das hör ich bis in mein Bett - , anschliessend das Fauchen des riesigen Gasofens, in dem dieses gebacken wird, und natürlich die Rufe der Muezzine.
Inzwischen bin ich aber geräuschresistenter geworden und schlafe nachts schon beinahe durch, bis um 6.15h mein Wecker klingelt. Dann torkle ich unter meine kalte Dusche, springe so schnell es geht wieder heraus, mach mich fertig und hol mir von unten den ersten Zuckerschock des Tages in Form eines picksüssen Tees mit Milch. Wenn ich übermütig bin, und mein Magen es erlaubt, kauf ich mir auch ein Fruchtshake, was mit gewissen Risiken verbunden ist, aber furchtbar gut schmeckt.
In der Nachbarschaft ist unser Dreimäderlhaus übrigens längst bekannt, wir fallen auf wie bunte Hunde und werden von allen Seiten beobachtet, was durchaus auch Vorteile hat. Einige Nachbarn hab ich schon kennengelernt, alle sehr nett, gewonnen hat aber auf jeden Fall unser Haus-Manager, der mit seinen riesigen Augen und dem verschmitzten Lächeln aussieht, als wäre er gerade aus einem Comic entlaufen. Er lebt mit seiner Frau, 2 Töchtern in meinem Alter und einem kleinen Sohn (dessen Name, Saddam, durchaus aus politischer Überzeugung gewählt wurde) im Keller unseres Hauses, ist stets hilfsbereit und schwärmt für Deutschland, das er einmal besucht hat. Wenn wir uns wieder einmal nicht verstehen, weil mein Arabisch zu schlecht ist, sagt er einfach „Doch!“ und strahlt über das ganze Gesicht...
Um 8 Uhr beginnt die Arbeit im Gesundheitsministerium. Glücklicherweise wohnt ein Kollege mit Auto gleich ums Eck, gemeinsam kämpfen wir uns allmorgendlich durch den Verkehr.
Mein Projekt (Analyse jemenitscher Jugendorganisationen) nimmt langsam Form an. Nachdem ich in den ersten Wochen hauptstächlich mit Konzept und Forschungsmethoden beschäftigt war, und gleichzeitig versucht habe, einen ersten Einblick in die verworrenen Beziehungen, Netzwerke und Hierarchien zu bekommen, hab ich inzwischen schon meine Mitarbeiter beisammen und erste Trainings in Interviewführung und Diskussionsleitung mit ihnen gemacht. Mein Forschungsteam besteht aus 8 jemenitischen Studenten, davon 3 Mädchen.
Dass ich auf einmal ein eigenes Projekt habe, find ich natürlich unglaublich spannend, aber gerade am Anfang bin ich manchmal ratlos. Ohne meinem jemenitischen Mentor, der mir mit seinen Erfahrungen und Beziehungen zur Seite steht, und meinem deutschen Chef, der mich von meinen utopischen, studiumsgeschädigten Plänen wieder auf den Boden der Realität zurückholt, wäre ich ziemlich verloren. So bin ich aber zuversichtlich und freue mich auch auf die vielen Reisen, die wir im Laufe des Jahres machen werden.
Auch nette Leute hab ich hier schon gefunden, einige junge Ausländer, meine Kollegen und ein paar gleichaltrige Jemenitinnen, die mich auf der Strasse aufgegabelt haben, als ich wieder einmal hilflos herumgeirrt bin...

Ihr seht also, mir geht's hier bis jetzt echt gut! Das einzige, was mir das Leben schwer macht, ist mein Tinitus, der nun seit über 2 Wochen hartnäckig rauscht und pfeift. Haltet mir die Daumen, dass er so plötzlich wieder geht, wie er gekommen ist!

Das war's fürs erste, ich hätte noch viel zu erzählen, und Photos kommen auch noch... marra thania, inshallah (nächstes Mal, so Gott will)!

Alles Liebe
Leni