Nachdem ich die nächsten 2 Wochen mit meinem Team quer durchs Land fahren werde, habe ich beschlossen, mir nun endlich so ein langes schwarzes Ding zu kaufen; zum einen, damit ich nicht jeden Tag überlegen muss, was ich anziehe, und ob eh alles schön bedeckt ist, zum anderen, weil ich ja wenigstens versuchen kann, unauffällig zu bleiben (gelingt mir eh nicht).
Nun bin ich also losmarschiert und dachte, binnen kürzester Zeit fündig zu werden. Schließlich wimmelt es in Sana'a von Geschäften, die Abbajas (schwarze Übermäntel) mitsamt dazugehöriger Hijabs (Kopftücher) und Burqas (Gesichtsschleier) verkaufen.
Denkste Puppe! Auf einmal fand ich mich inmitten der Modesorgen jemenitscher Frauen wieder und musste mir über Fragen den Kopf zerbrechen, die sich mir bei H&M noch nie gestellt hatten...
Das erste Problem war mir allerdings aus Europa relativ geläufig: die Länge. Da die Jemenitinnen im Schnitt zwei bis drei Köpfe kleiner sind als ich, war es zunächst nicht einfach, eine Abbaja zu finden, die mir bis zu den Knöcheln reicht – alles andere wäre natürlich unkeusch und verwerflich...
Auch die Frage der Stoffwahl ist – zumal auf Arabisch - nicht leicht zu klären. Sämtliche Abbajas sind natürlich als Polyester, Baumwolle gilt hierzulande als altmodisch und das Tragen desselben wird als schwerer stilistischer Faux-Pas gewertet (welchen ich übrigens laufend begehe).
Doch – höret und staunet - Polyester ist nicht gleich Polyester, und daher gibt es Stoffe für alle Jahreszeiten und Regionen. Da ich auch nach Aden fahre, wo es zur Zeit 50 Grad in Schatten hat und die Luftfeuchtigkeit 80 Prozent beträgt, kommen für mich nur die leichtesten Stoffe in Frage. Auch diesen traue ich übrigens durchaus die Fähigkeit zu, mich in Schweiß zu baden und dem Hitzetod gefährlich nahe zu bringen...
Dritte Schwierigkeit: „al Design“ ( ein im Zuge der langwierigen Verhandlungen mit dem Verkäufer entstandener Neologismus, Zeugnis meiner erfinderisch machenden Vokabel-Not). Beim Kauf eines rein schwarzen, sackähnlichen Gewandes die Qual der Wahl zu haben - damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Doch vor meinen erstaunten Augen zog der Verkäufer Unmengen an Abbajas aus den Regalen, die für das geschulte Auge lauter kleine, feine Unterschiede aufwiesen: Stickereien, Pailetten, Borten, Schnitte – aus so wenig so viel Verschiedenes zu machen: das nenne ich Minimalismus!
Aus begründetem Anlass mögen meine verehrten Leserinnen und Leser mir einen kurzen Exkurs zum Thema „Frauenmode im Jemen“ erlauben. Wer sich durch diesen überfordert fühlt, möge den folgenden Absatz überspringen, mir aber wenigstens eine einfältige Nachricht hinterlassen.
Wie alle Kleidungsstücke ist auch die Abbaja ständig wechselnden Modetrends unterworfen, und auch die Tatsache, dass sie heutzutage unter den Jemenitinnen so beliebt ist, kann als Modeerscheinung gedeutet werden. Ursprünglich nur den Frauen der Oberschicht vorbehalten, breitete sich das schwarze Obergewand in den letzten Jahrzehnten rasch aus. Dies kann auf zunehmenden saudi-arabischen Einfluss ebenso zurückzuführen sein wie auf die Tatsache, dass die Abbaja von jeher Reichtum und Prestige symbolisierte, wodurch sie auch für Frauen der Unterschicht attraktiv wurde. Ein anderer Erklärungsansatz besagt, dass die Abbaja es Frauen ermöglicht, in der Öffentlichkeit präsenter zu sein, und trotzdem als ehrenhafte Musliminnen respektiert zu werden. Dies ist vor Allem für die wachsende Zahl arbeitender Frauen von Vorteil.
Meist lässt sich schnell erkennen, ob die Abbaja aus Überzeugung getragen wird, und daher so bescheiden und unauffällig wie möglich ausfällt, oder ob auf subtile Weise versucht wird, die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen auszureizen. Oft lassen sich auch interessante Kontraste zwischen Schuhen und Obergewand beobachten; so stolzierte unlängst ein Fräulein an mir vorbei, von dem man nichts als die Augen und die Füße sah – diese steckten jedoch in goldenen Glitzerstilettos... in Sachen Sexappeal hätte sie es locker mit jeder halbnackte Videocliptänzerin aufgenommen. Unter den Abbajas von Teenagern lugen meist Jeans und Sneakers hervor; vor Kurzem blitzten mir sogar knall-neongrüne Socken entgegen.
Wer in Europa glaubt, Frauen des Handtaschenfetischismus bezichtigen zu müssen, soll erst einmal zwecks vergleichender Studien nach Sana'a kommen: hier ist die Handtasche sozusagen das modische Aushängeschild der Frau von Welt, kann sie doch, im Gegensatz zum restlichen Outfit, beliebig bunt, originell und luxuriös ausfallen. Doch spricht man im jemenitischen Kontext besser von Handtaschen im Plural, denn die fehlende Abwechslung in der Kleidung wird dadurch kompensiert, dass sich dessen Zahl – je nach finanziellen Möglichkeiten und Modebewusstsein – dramatisch gegen unendlich bewegt.
Soviel zum Exkurs. Wieder was gelernt. Aber sicher brennt ihr alle darauf, endlich zu erfahren, wie mein spannendes Shopping-Erlebnis ausgegangen ist...
Von der Vielfalt und Komplexität dieses Bekleidungsobjektes abgeschreckt und zutiefst verwirrt, bin ich mit leeren Händen nach Hause gekommen und muss wohl morgen wieder in meinem nicht minder unförmigen Hippie-Baumwoll-Outfit durch die Straßen von Sana'a irren... aber morgen ist auch noch ein Tag. Sobald ich fündig geworden bin, poste ich hier ein Photo, damit ihr mich gebührend auslachen könnt!
Alles Liebe,
Leni
P.s.: Inzwischen bin ich stolze Besitzerin zweier Abbayas, und habe sie auch schon einige Male ausgefuehrt. Wieder Erwarten sind die Dinger ziemlich angenehm.
Abbaya in Action auf einem Workshop in Zinjibar (miserables Photo)...
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